«Begegnungsinseln»
Rede zur Eröffnung von Isa Genzkens Ausstellung «Mach dich hübsch!» am Martin Gropius Bau Berlin
von Thomas Oberender
Es gibt Künstler, die – völlig zu Recht – aus einer Erfindung, wie sie in dieser Ausstellung nur einen von vielen im Werk der Künstlerin darstellt, ein ganzes Lebenswerk entfalten. Bei Isa Genzken hat dieses Werk viele Lebensfalten, Brüche, die neue Felder schaffen und die Arbeiten plötzlich tief werden lassen. Welch atemlösender Mut, frisch zu blicken, Schönheit zu sehen in Ding- und Bildwelten, die zunächst trivial wirken, kommerziell, profan, industriell.
Ich kann mich in Ihre Arbeiten vertiefen wie in ein Buch, sagen wir von Stendhal - es erzählt von Liebe, fort treibendem Eigensinn, spricht vom Preis unseres blinden Tuns, der Heiterkeit des Abstands, dem Schmerz der Nähe. Hoch und Tief, tragisch und komisch kommen in Ihren Arbeiten wie in einem großen Aggregat zusammen, das die Welt einschmilzt in unerhörte Begegnungsinseln - ihre geschichteten, gestreiften, verletzten und geheilten Bilder und collagierten Skulpturen sind Romane eines Lebens, das in weiten Teilen wohl Ihres ist. Aber nicht nur - es ist auch der Resonanzraum von Weltgeschichte, den Anschlägen auf die Twin Towers, auf ihren Leib, Ihr Leben, Ihren Verstand, die uns hier als Übersetzungen begegnen in beeindruckend angstfreie Erfahrungsräume unserer Ängste und auch unserer Freuden begegnen.
Wie schön durch eine Ausstellung zu gehen und zu denken, dass diese Arbeiten alle von einem sehr jungen Menschen sein müssen. So erfindungsfrisch, durchlässig, permissiv, in ungebremster Bewegung über Jahrzehnte hinweg ist dieses hier ausgestellte Oeuvre. Die einzelne Arbeit, auch wenn sie Teil einer sich oft über Jahre entwickelnden Serie ist, ist hier selber nicht seriell, sondern ein originaler Charakter, eine Person. Ihre Stelen tragen Namen, ihre Figuren sind «Schauspieler». Jede dieser Skulpturen ist aus dieser intensiv erlebten Welt geschöpft und erzeugt durch Kollisionen der Materialen und Perspektiven einen Funken Poesie. So disparat die in dieser Ausstellung gezeigten Arbeiten sind - sie haben über die Jahrzehnte hinweg ein eigentümliches, wiedererkennbares System entwickelt, voller Referenzen und Schwankungen, die in jedem einzelnen Stück, wie im Theater, eine Welt erfahrbar machen.
Vielleicht zieht mich Ihre Arbeit als Theatermann deshalb so an. Sie ist mit sozialem Leben prall gefüllt, mit einer emotionalen und physischen Realität, die von draußen und drinnen ins Werk dringt und irgendwie aufnimmt und mitdenkt, wie die Arbeiten auf den Betrachter wirken und wirken wollen - mit einem Knall, als Treffer. Wie bei Theaterleuten denken diese Arbeiten die Begegnung mit dem Publikum mit. Aber Sie achten das Geheimnis: «Es gibt nichts Schlimmeres in der Kunst,» haben Sie vor gut zehn Jahren in einem Gespräch mit Wolfgang Tillmanns gesagt, «als ‚Du siehst es und du weißt es‘.» Ihre Skulpturen verweigern keinen Sinngehalt, doch sie bewahren die Komplexität seiner Einbettung.
Arbeiten wie «Empire / Vampire, Who kills Death» zeigen bizarre, hollywoodartige Szenen von Kämpfen und Kriegen - das Drama, oszillierend zwischen Komik und Härte, ist immer anwesend in ihren Filmen, collagierten Architekturen und Fotografien. Wir werden dieses Werk im Mai im Berliner Theatertreffen aufgreifen, dort ihre «Notizen für einen Spielfilm» lesen, Ihre Filme mit Kai Althoff zeigen und über die in dieser Ausstellung so präsenten Idee der ‚Figur als Skulptur‘ mit Kunstwissenschaftlern und Regisseuren und hoffentlich auch Ihnen diskutieren.
Ihr Werk im Gropius-Bau zu zeigen war ein Lebenstraum. Die Zusammenarbeit mit Stedelijk Museum ein Glücksfall. Beatrix Ruff ist Kuratorin, Direktorin und als Herausgeberin des Werkverzeichnisses von Isa Genzken gemeinsam mit Martijn van Nieuwenhuyzen ein Dreamteam und segensreiches Gegenüber gewesen. Einen ganz besonderen Dank an den wunderbaren Galeristen und Künstlerbegleiter Daniel Buchholz und an alle Leihgeber, die dem Stedelijk Museum und dem Gropiusbau diese wunderbare Schau ermöglicht haben - danke für ihr Vertrauen und danke an den Hauptstadtkulturfond, der ermöglicht hat, dass wir es genießen dürfen. Aber danke vor allem an Isa Genzken - es gibt nichts Schöneres in der Kunst als: «Du siehst es, und es bewegt dich.»
EÖ-Rede zur Ausstellung «Mach dich hübsch» im MGB, 8.4.2016