«Künstler mit Hinterland»
Laudatio auf Fabian Hinrichs anlässlich der Verleihung des Ulrich Wildgruber Preises, Hamburg, 25. Januar 2014)
von Thomas Oberender
Ich habe ihn als Besucher auf einer Probe am Schauspielhaus Bochum kennengelernt. Er schaute dem Treiben zu, auf einem Stuhl hinter dem Rücken des Regisseurs, hatte eine sehr gesunde Gesichtsfarbe und war ein ungewöhnlich freundlich wirkender junger Mann. In meiner Phantasie wirkt es heute so, als hätte er während er zusah einen Apfel gegessen. Er suchte keine Arbeit. Ob er ein Angebot hatte? Ich kann es nicht mehr sagen, aber ich weiß noch, wie es mich erstaunte, dass ein fremder Schauspieler vorbeischaut und einen fremden Betrieb voller Neugier von innen betrachtet. Als ich in der Probenpause fragte, ob er in unserem Haus spielen möchte, wiegte er sich hin und her und raus aus der Frage, ja, vielleicht eine Sache – aber in ein Ensemble gehen – lieber nicht. Das hatte er die Volksbühne gerade hinter sich. Und was ihn für Rollen interessieren? Kann er nicht sagen. Er denkt nicht so, in Rollen, oder mit welchen Regisseuren er arbeiten will. Sagt er, und lächelt kerngesund. Da wollte einer nichts. Sich einen Eindruck verschaffen und wissen, worum es uns geht am Theater. Wegen dieser Frage war er gekommen. Er war neugierig und frei. Das ist sehr attraktiv.
Warum Fabian Hinrichs heute diesen Preis bekommt? Ich würde sagen: Weil er der Vergiftung entgangen ist. War oder ist Fabian Hinrichs ein Schauspieler, der zum Ensemblestar geworden ist? So wie man früher ein großer «Schaubühnenstar» war, oder «Burgtheaterschauspieler» ist? Oder ist er das Gesicht eines Regiestars? So wie die berühmten Zadek- oder Fassbinderschauspieler? Oder weil er ein Film- oder Fernsehstar ist? Ich glaube nicht. Nicht in diesem Sinne.
Fabian Hinrichs ist ein Künstler mit Hinterland. Er interessiert sich für sehr viele Dinge, die mit dem Theater unmittelbar wenig zu tun haben. Und er hat scheinbar eine sehr robuste Vorstellung davon, was ihm im Leben, und also auch in der Arbeit, nicht verloren gehen soll. Aus dieser Vorstellung heraus projektiert er offensichtlich seine Entscheidungen – sie können zu Gunsten eines Ensembles ausfallen, aber nur so lange wie es eines ist. Er folgt den Partnerschaften, nicht den Chefs.
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Fabian Hinrichs Arbeit hat ein hohes Pathos, das würde ich gerne behaupten – es resultiert aus der Sorge um diese Dinge. Um die Frage: Was ist das überhaupt noch, diese von Schiller aufgebrachte Figur – der Mensch. Dieses von Don Carlos und seinem Vater Philipp gleichermaßen gesuchte Geschöpf? Wie kann man denn so was im Leben erkennen und auf der Bühne zeigen? Schiller war der Affekt der Schlüssel – die unwillkürliche Träne der Anteilnahme, um sie ging es in seiner Dramatik, in einem handreichenden Sinn. Da ist es: das Dritte in uns, das uns Allgemeine. Nach ihm suchen die Abende von Fabian Hinrichs, daher ihr Pathos. Sie sind grundsätzlich dramatische Epen: Auf der Bühne erzählte Welt. Das verbindet ihn, auf eine hintertürige Weise, mit Peter Handke. Ich mag diese Haltung. Diesen stolzen, frohen, staunenden Lumpensammlergang durch die Welt – mal schauen, was da so herumliegt an bedrohlichen Fremdstoffen – Ideologien, Schuldgefühlen, Bildern, Geschichte. Und der Erzähler Hinrichs ist in seinen eigenen Abenden dem stauendenden Dramenerzählern der späten Stücke von Peter Handke, ihrem Zorn, ihrer Sinnlichkeit – so ungefähr ab «Über die Dörfer» – gar nicht unähnlich. Aber es ist eben so, als würde Handke plötzlich selber sein Stück «Immer noch Sturm» spielen. Als euphorischer «Barfußprediger» ist Fabian Hinrichs in den letzten Jahren gelobt worden, als tanzender «Diskurs-Derwisch». Und das würde einem Barfußenthusiasten wie Handke sicher gefallen.
Für mich ist Fabian Hinrichs aber kein Prediger. Er ist ein Exorzist. Ein Entgifter. Aufgewachsen bin ich mit den Renegaten ihrer eigenen Generation – Anklageführer in ihrer Jugend, Anklageführer im Alter. Danke, lieber Fabian Hinrichs, fürs Losmachen vom bösen Nein, von der Entlarvung des Niedrigen, des gesunkenen Nazitums – das sind nicht mehr unsere Kategorien. Es muss doch auch anders gehen, über Politik zu sprechen, übers Müdewerden, Gewalt, das «Ganze», ohne dabei das Verhängnis und die Verluste zu bejammern, immer wieder nur die Erinnerung zu retten. Danke Fabian, dass es so persönlich wurde, ohne privat zu werden, wenn bei dir Politik ins Spiel kommt, meinetwegen auf Stelzen, oder im Krakenkostüm, aber deine Bemühung, dein Staunen schafft ein eigenes Vokabular. Die hohe Kunst sieht heute anders aus als – das verdanken wir auch dir. Sie ist noch immer Abenteuer, Zweifel, Begabung, Einsicht, Können. Sie braucht Schauspieler nicht als Spielzeug, sondern Medien – das den Durchschein Verkörpernde. Sie sind es nicht. Aber ohne sie wäre es nicht.