«Im Ausnahmezustand «eine solidarische Gesellschaft bleiben»»
Thomas Oberender im Gespräch mit Anja Reinhardt
Die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus haben massive Folgen für die Kulturlandschaft. Künstler und Künstlerinnen brauchen in dieser Situation Hilfe, sagte der Intendant der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, im Dlf. In der Kultur müsse man überlegen, wie man den derzeitigen Wandel, der sich auf einer gesellschaftlichen Ebene vollzieht, mitgestalte. Die Berliner Festspiele sind wie andere Institutionen von den Folgen der Corona-Krise massiv betroffen. Ausstellungen und Veranstaltungen können nicht eröffnen oder fallen in den nächsten Wochen aus. Intendant Thomas Oberender kann derzeit nur von seiner Wohnung aus arbeiten, er telefoniere täglich acht Stunden, sagte er im Deutschlandfunk. «Die Angebote verschieben sich ins Netz, ich habe das Gefühl, dass im Allgemeinen noch keine Depression ausbricht – bei uns schon ein bisschen, weil wir viele Absagen machen müssen.»
«Wir können auf solche Entwicklungen schlechter reagieren als die Repertoire-Theater, die jetzt immerhin noch «Geisteraufführungen» machen können - wir haben Planungsvorläufe von etwa einem Jahr und Partner überall auf der Welt, aber die sind im Moment halt nicht hier», so Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele. Das Festival MaerzMusik und das Theatertreffen sind für dieses Jahr abgesagt. Viele Künstler kommen nicht aus Deutschland, die Situation sei wie eine Vollbremsung. Akutes Krisenmanagement sei jetzt gefragt, damit alle Künstler, die die Situation betrifft, maximale Unterstützung finden. Eine Ausstellung von Lee Mingwei, die im Berliner Gropius Bau starten sollte, würde man nun versuchen ins Netz errelbbar zu machen. Man denke nun grundsätzlich umd, wie sich ein Betrieb organisieren könne. Über dieses Umdenken habe er sich zusammen mit Künstlern wie Tino Seghal schon länger Gedanken gemacht. Dabei gehe es in ihrem neuen Projekt vor allem darum, wie der Kunst- und Kulturbetrieb nahezu klimaneutral arbeiten könne.
«Wir hängen uns alle die Klimaschutzbilder an die Wand, aber wir müssen doch mal erfahren und irgendwo diskutieren können, auch mit Experten des Wandels, was das bedeutet, wenn wir unsere Praxis verändern, auch im Kunstbetrieb», so Oberender. Durch die Corona-Krise hätte dieses Umdenken noch mal an Aktualität gewonnen: «Das größte Kunstwerk ist im Moment, wie eine Gesellschaft sich umstellt, um in diesem Ausnahmezustand trotzdem eine solidarische Gesellschaft zu bleiben. Eine Gesellschaft, die nicht aufhört, transparent zu bleiben.» Die Frage sei, wie der Wandlungsprozess, der durch dieses Virus ausgelöst wurde, von der Gesellschaft in Zukunft verarbeitet würde. «Was können wir tun, um den Anbruch einer neuen Zeit begreifbar und gestaltbar zu machen?»
Er sei sich sicher, dass es kein einfaches Zurück gäbe in die Zeit vor Corona. «Wir haben gemerkt, dass bestimmte Logiken toxisch sind». Das sei nicht erst durch die Corona-Pandemie sichtbar geworden, Metoo oder die Klimadebatte hätten das auch schon gezeigt. Künstler seien die ersten, die für solche Wandlungsprozesse eine Sprache fänden, meint Thomas Oberender, weil sie anders formulierten. In Bildern, Inszenierungen, Kompositionen. Kunst sei in seinen Augen nicht «das unverständlich Schwierige und Kryptische», sondern biete einen intuitiven und emotionalen Zugang zur Welt, der sich, weil er ganzheitlicher ist, heute plötzlich sehr angemessen und orientierungsstiftend wirkt.
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