«Ein Menschenversuchungsversuch»

Über die Pariser Weltpremiere des Projekts DAU von Ilya Khrzhanovsky

Thomas Oberender

Wie bringt man ein Werk heraus, das im Moment seiner Veröffentlichung aus 13 Kinofilmen besteht, die aber zugleich nur eine Facette eines Gesamtwerks darstellen, das mit der Kreation einer künstlerischen Gated Community an Stadtrand von Charkow verbunden war, mit der Entwicklung eines Internetportals und einer ganz eigenen Publikations- und Merchandisingreihe? Das Charkower Projekt war ein Sozialexperiment ganz eigener Art, des Abfallprodukt an die 700 Stunden Film waren. Dieser Film zeigt das Leben von Wissenschaftlern, ihre Experimente in einem geheimen Institut in der Sowjetunion zwischen 1938 und 1968, also drei Jahrzehnte akribisch nachgebildeter Geschichte, die vom großen Terror in den Weltkrieg und das Tauwetter führen. Aber man sieht nicht nur das Leben der Wissenschaftler, sondern auch das von Straßenkehrern, Köchinnen, Künstlerinnen, weltberühmten Mathematikern und Nobelpreisträgern. 

In Charkow entstand eine Art Testgesellschaft, irgendwo im Limbo zwischen sozialer Wirklichkeit und ästhetischer Fiktion machten bis zu 400 «Bewohner» gleichzeitig diese Zeitreise in einer kleinen Filmstadt, in deren Kulissen der Alltag innerhalb eines wissenschaftlichen «Instituts» simuliert wurde, wie es jenem entspricht, an dem einst der russische Physiker Lew Landau gewirkt hat, der einzige sowjetische Nobelpreisträger, dessen Leben der russische Regisseur Ilya Khrzhanovsky zunächst nach einem Drehbuch von Vladimir Sorokin verfilmen wollten. Die Filmarbeiten wurden jedoch bald schon frei improvisiert entlang der von den Bewohnern und dem Regisseur herbeigeführten Situationen innerhalb dieses imposanten Sets von der Größe zweier Fußballfelder. Gedreht wurde mit einer einzigen 36-mm-Kamera, ohne Wiederholung einzelner Takes, alles wie es sich ergab.