«Die Gegenwart der Gegenwart»
Das Jahrhundertende und sein Theater. 
Thomas Oberender

 

 

Das Echo des Glücks

Das Lebensgefühl am Abend des Jahrtausends - diese merkwürdige Mischung aus Nihilismus und Freundlichkeit, Eigenwillen und Mehrheitstreue - kreiert an vielen Orten Ostberlins eine Emanzipationskultur eigener Art: In Mietskasernen, Hinterhöfen und aufgegebenen Gewerbeparks finden sich Räume, die Zonen des Übergangs sind: eigentlich Wohnung, zugleich aber Galerie, Bar und Happeningort. Diese Clubs und Treffs sind flüchtige Installationen, mainstreamfürchtend, Abseits-Idyllen. Sie halten solange, wie der Spaß in ihnen hält. Karel DuBar, ein Bohemien des Friedrichshain, stellt an drei Abenden in der Woche das Bett ins Treppenhaus und verwandelt seine Wohnung in ein gastronomisches Lebenskunstwerk, an dessen Tresen er das Geld für sein Musikerleben verdient. Er legt Platten auf, während die Gäste seine Cocktails probieren - ein flimmernder Bildschirm hängt als Lampe von der Decke, leuchtende Plastikfische schwimmen über Alpenposter und überall erleben aufgelesenen Reste einstmals nützlicher Dinge ihre Wiedergeburt als Objekte der Verwandlung und Schönheit. In Räumen von Künstlern wie Karel DuBar oder Laura Kikauka im Berliner Prater synthetisieren sich die marginalen Kulturen des 20. Jahrhunderts: die Trivialkultur der geschmacklosen Mehrzahl, die Massenware, sozialistische Gebrauchsgrafik und Gelsenkirchener Barock, Superman und Kerzenschein. Es ist die Synthese von Ästhetiken der Minderheit, so majoritär sie tatsächlich auch sein mag: Hier verträgt sich Hollywood mit Devotionalienkitsch, die Trivialkultur mit Zitaten der Avantgarde, sozialistische Gebrauchskunst mit dem American Way of Life, Banalität mit Ironie. Und das alles geht, weil sich die komplette und verpflichtende Welt, die sich einst mit einem röhrenden Hirsch oder roten Stern verband, genauso aufgelöst hat wie jene Welt, die ein Kino zum »Theater des Friedens” machte. Die guten Stuben unserer Eltern kamen in die  Haushaltsauflösung und in Karel DuBars »Wohnzimmer” finden sich deren Relikte bunt gemischt - all diese Zeichen, der ostentative Kitsch ebenso wie die scheinbare Folklore von Souvenierartikeln, mit denen man einst absichtsvoll vom eigenen, positiven Geist gekündet hat, bezeugen heute noch ein altes Versprechen: simples, machbares Glück.