«Ostdeutsch-Sein darf nicht Zweitrangig-Sein heißen»
Gespräch mit Thomas Bille
Das Aufkommen des rechten Populismus in Ostdeutschland habe dazu geführt, dass die alten Bundesländer anders auf den Osten blicken, so Oberender. «Der erste Impuls war einer, dass man sagte: Ach Gott, die haben die Demokratie immer noch nicht gelernt. Na klar, die kommen aus einer Diktatur. Das sind 40 Jahre Totalitarismus gewesen, die in den Köpfen und Leibern dieser Menschen der neuen Länder stecken und das dauert halt und die armen Leute. Da müssen wir jetzt noch mehr helfen, dass die Demokraten werden.»
Diese Haltung aber bezeichnet Thomas Oberender als pures Gift. Dabei würde vergessen, dass die Ostdeutschen sich selbst die Demokratie errungen und sich selbst befreit hatten.
Das Beispiel sei symptomatisch für ein Problem: Ostdeutsche Geschichte und Perspektiven würden nicht gleichranging mit westdeutschen behandelt werden. 30 Jahre lang hätten Ostdeutsche von Westdeutschen gelernt – ihre Regeln, Strukturen, Perspektiven. Die Ostdeutschen hätten nachgeholt und sich angeglichen, angeleitet von westdeutschen Führungskräften.
Diesen Prozess empfindet Oberender nicht per se als schlecht, allerdings als einseitig: «Dass wir in einer Situation leben, in der es überhaupt nicht in den Sinn kommt, gesamtgesellschaftlich auch was vom Osten und seiner Geschichte zu lernen.» Der Prozess hätte den Osten nicht selbstbewusster gemacht und viele auch frustriert.
«Ich brauche eine andere Form der Geschichte», sagt Oberender. «Ich brauche Augenhöhe. Ich brauche Verständnis.» Ostdeutsch-Sein dürfe nicht mehr zweitrangig sein. «Die [negativen Aspekte] waren eben nicht alles. Es gab daneben eine Parallelwelt der Familie, der Ideen, der Jugendkultur, auch einer Redlichkeit im Alltag, die dazugehört zu diesem Land und diesem Leben. Das müssen wir stärken.»
Thomas Oberender ist optimistisch: Mit dem Selbstbewusstsein käme der Osten auch wieder weg von dem Rechtsschwenk. Außerdem wären solche Maßnahmen effektiver als Geld, ist sich der gebürtige Jenaer sicher.
Thomas Oberender macht eine junge Gruppe an Menschen aus, in die er viel Hoffnung steckt. Sie sind um die 30 Jahre alt, hätten eine andere Form der Neugier, einen anderen Blick auf die Wende und würden dabei keinesfalls das Bild der DDR verklären.
«Es gibt wirklich viele junge Leute, die was tun und die auch merken, irgendwas stimmt nicht mit dem Leben ihrer Eltern, irgendwas kommt hier im öffentlichen Diskurs nicht vor. Und die fangen an, das ins Licht zu holen und zu bearbeiten», sagt Oberender. Dazu hätten sich bereits zahlreiche Initiativen gegründet, darunter «Aufbruch Ost», «Bewegung Freiraum» in Leipzig. Sie rücken mit ihrer Arbeit die positiven Aspekte der Ostdeutschen stärker in den Blickpunkt. Damit wäre das «Empowerment» bereits in vollem Gange.