«Was ist Immersion?»

Interview mit Shantala Sina Branca,

Shantala Sini Branca: Herr Oberender, was bedeutet Immersion?

Thomas Oberender: Es bedeutet salopp gesagt «eintauchen». Immersion ist ein Schlüsselphänomen unserer Zeit, das die Erfahrung oder das Gefühl einer vollumfänglichen Einbettung in die eigene Umwelt beschreibt. Wenn diese Umwelt artifiziell ist, gehen wir also im Kunstwerk auf – es verschwindet, das Medium wird unsichtbar, wir sind «drin». Der Begriff hat viele Anwendungsbereiche. Neben neuen digitalen Technologien wie Virtual Reality lassen sich mit ihm besonders gut neue Erfahrungen beschreiben, die sich seit Mitte der 90er übergreifend in verschiedenen «analogen» Künsten herausgebildet haben. Dabei handelt es sich um Künste, die oft situativ funktionieren und statt singulärer Werke ganze Welten schaffen. Jede Form von Immersion ist verbunden mit Worldbuilding – sie duldet tendenziell kein «außen».

Der Begriff Immersion kam in den 90er-Jahren in Verbindung mit Virtual-Reality-Konzepten und Spieltheorie in Mode. Inwieweit ist er heute noch relevant?

Er ist einfach sehr robust, weil das Phänomen so alt ist wie die Kunst. Theoretiker wie Oliver Grau oder Joseph Nechvatal haben es bis in die Höhlen von Lascaux, die Welten des Rokoko und der Panoramen des 19. Jahrhunderts zurückverfolgt. Die Digitalisierung macht das Trompe-l’œil begehbar, sie ändert nicht unsere Wahrnehmung, sondern unseren Zustand. Wobei die Frage, wo die Trennlinie zwischen meinem leiblichen und meinem digitalen Ich verläuft, ins Gleiten gerät – ein Wort, das schon Arthur Schnitzler gerne verwendete, um das Unwirklichwerden einer sehr intensiv erfahrenen Realität zu beschreiben. Der Begriff «Immersion» bringt dieses Gleiten auf den Punkt. In welcher Welt leben wir? Wie ist sie beschaffen? Und vor allem: Wer sind diejenigen, die diese Welten schaffen: Sind es wir, ist es Google oder sind es irgendwie ineinander greifende Algorithmen …?