Auf der «Straße der Erinnerung»

Wie kann man an 1989 erinnern? Wessen Erzählung zeigt sich in der Einheitswippe und dem Einheitsdenkmal am Moabiter Spreebogen?

Von Thomas Oberender

Warum sollte in Berlin, 34 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung, noch ein «Freiheits- und Einheitsdenkmal» gebaut werden, wie gerade es am Spreeufer vor dem Humboldt Forum entsteht? Touristen suchen in der deutschen Hauptstadt nach Relikten der Berliner Mauer, die kaum mehr zu finden sind. Im Asphalt einiger Straßen der Innenstadtbezirke erinnert ein unscheinbarer Streifen von Pflastersteinen an den Verlauf der ehemaligen Mauer. Aber die Stadt rechts und links von diesem schmalen Band ist wiedervereinigt. Was vierzig Jahre durch einen Todesstreifen getrennt war, hat das Leben neu verbunden.

Seit 2020 wird am «Freiheits- und Einheitsdenkmal» vor dem Humboldt-Forum gebaut. Sein zähes Zustandekommen erinnert an die Geschichte des BER. Schon 2010 wurden die Umsetzung des Entwurfs des Büro Milla und der Choreografin Sasha Walz beschlossen. Dass dieses Denkmal überhaupt zustande kommt, verdankt sich dem Enthusiasmus einer darüber grauhaarig gewordenen Generation von Menschen.

Was den Freiheitsaspekt betrifft, war dieses lange geplante Denkmal vor allem eine Herzensangelegenheit des ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, dessen Lebensgeschichte und politisches Erwachen mit der Revolution von 1989 eng verbunden ist. Gestaltet wurde die deutsche Einheit hingegen fast ausschließlich von Westdeutschen, die das Projekt der Demokratisierung der DDR in das Projekt der deutschen Wiedervereinigung überführten. So klingt im Doppelnamen des Denkmals auch eine unterschiedliche Erfahrung von Geschichte an, die der Revolution und die der Wiedervereinigung.

Überraschender Weise gibt es ein solches Denkmal in Berlin aber bereits. 2009 erweiterte die Ernst Freiberger-Stiftung ihren Skulpturenpark der «Straße der Erinnerung» am Moabiter Spreebogen um ein Denkmalensemble, in dessen Zentrum die Skulptur «Wir sind das Volk» des vogtländischen Künstlers Rolf Bibl steht. Es befindet sich nur rund fünfzehn Gehminuten vom Humboldt Forum entfernt und wurde damals im Beisein von zahlreicher politischer Prominenz eröffnet.

Trotzdem erscheint es wie ein geheimer Ort. Kaum jemand in meinem Bekanntenkreis kennt dieses Mahnmal. Es entstand ohne öffentliche Diskussionen und erzählt seine Geschichte im Stillen. Jede Woche jogge ich an diesem Denkmal vorüber und kann nicht anders, als mir über diese Skulptur des mauerdurchbrechenden Systemsprengers, der seine Hand den Passanten und der Büste von Helmut Kohl entgegenstreckt, Gedanken zu machen.