«Ostdeutsches Bewusstsein ist kein Ziel»
Ein Gespräch mit Dieter Kassel: Viele Menschen mit DDR-Geschichte hätten intensive Erfahrungen mit einer Form von wohlmeinender Herablassung gemacht, sagt der Intendant der Berliner Festspiele, Thomas Oberender. Trotzdem hält er es für falsch, die Unterschiede zwischen Deutschen und Deutschen zu betonen. Der Theatermacher hält das Amt eines Ostbeauftragten der Bundesregierung für noch nicht überholt. »Ja, ich glaube schon, dass wir das noch brauchen», sagte der Intendant der Berliner Festspiele im Deutschlandfunk Kultur, und argumentierte, dass Ost und West eben «nicht einfach so zusammenwachsen». Die neue Bundesregierung hatte gestern erklärt, dass der Thüringer CDU-Politiker Christian Hirte das Amt des Ostbeauftrtagten übernehmen werde.
Oberender führte aus, dass es kein Zufall sei, dass Identitätsfragen der Ostdeutschen heute verstärkt in den Blick gerieten. »Meine Vermutung ist, dass wir durch bestimmte Krisen, die mit der Umstellung, mit der Angleichung mit einem Vorgang des Nachholens verbunden waren, dass die durchgestanden sind und jetzt sich die Thematik der Identität mehr in den Vordergrund schiebt. (…) Ich halte das für einen heilsamen Prozess. Weil wir, als 1989 die Wiedervereinigung in Gang kam, nicht Brüder und Schwestern waren, sonder wir waren erstmal Fremde.»
Allerdings betont Oberender auch, dass es für ihn nicht erstrebenswert sei, eine «ostdeutsche Identität» zu haben: »Unsere Identität sollte sein, dass wir heute in Deutschland leben. Jeder hat seine regionalen Wurzeln, aber sich in sezessionistischen Gefühlen zu verorten, die eher das Anderssein, das Differente betonen als das, was uns vielleicht eint - auch als Genuss und Ziel in diesem Gemeinwesen zu leben und zu arbeiten - das ist eher eine traurige Entwicklung. Ich finde ein ostdeutsches Bewusstsein sollte für sich genommen kein Ziel sein.»
Zugleich könne er verstehen, wenn Menschen mit DDR-Geschichte sich zurückgestuft fühlten. Es sei oft ein «versteckt wirkender Vorgang», dass «Menschen, die DDR-Hintergrund haben (…) eine bestimmte Art von Bildung, Weltläufigkeit, Demokratiefähigkeit usw.» abgesprochen würde. Nach der Wende habe es einen gewaltigen «Transfer-Know-how von West nach Ost» gegeben, sagte Oberender. Die westdeutschen »Transformationsagenten der ersten Stunde», wie er formulierte, hätten bis heute Netzwerke gebildet, die ihrerseits «nie transformiert wurden», was zu einem «augenfälligen Ungleichgewicht in der Besetzung von Stellen von Führungspositionen» geführt habe.
(huc)
Deutschlandfunk Kultur, Theatermacher über Identitätsfragen, Beitrag vom 13.03.2018