«Das Prinzip der Session»
Rede gehalten zur Eröffnung der Ausstellung «No, it is!» von William Kentridge am Martin Gropius Bau, 11. Mai 2016
von Thomas Oberender
Wenn ich einmal nach dem Weg fragen müsse, riet mir der Taxifahrer bei meiner Ankunft in Kapstadt, dann niemals Menschen auf der Straße, sondern in einem Geschäft. Später, in einem Geschäft, fragten zwei Franzosen den Verkäufer über Trickbetrüger aus, die sich wenige Augenblicke zuvor am Geldautomaten ihre Kreditkarte ausborgen wollten. Es war seltsam in einer Stadt zu sein, in der keiner dem anderen traut, und alle sagen, sie sei ein sicherer Ort. Verglichen mit Johannesburg, wo William Kentridge lebt und arbeitet, ist Kapstadt das auch.
Selbst im Titel der Ausstellung schwingt, so hat William Kentridge berichtet, etwas von der spielerischen Unsicherheit mit, die in Südafrika aufgrund eines ungewöhnlichen und in unserem Zusammenhang sehr plastischen Sprachgebrauch jede Zustimmung im Gestus der Verneinung vorbringt - «No it is!» heißt also «Ja, so ist es!»
Kentridge als Figur
Mit William Kentridge durch Kapstadt zu gehen, das war wie 1989 an der Seite von Heiner Müller durch Ostberlin zu sein - jeder kannte ihn. William Kentridge sieht genau so aus wie der Mann auf seinen Bildern und in seinen Filmen, er ist sich selbst immer mehr zur Figur geworden und hat sie als seinen Botschafter in die Welt geschickt: Weißes Hemd, schwarze Hose, Brille am Faden, gerne mit Hut. Das war nicht von Anfang an so und es ist spannend, diese Verwandlung in seinem Werk zu beobachten, denn sie gleicht einer Öffnung: Seine Filme, sagt Kentridge, sind «Selbstportraits in der dritten Person», und er hofft und genießt es, dass diese Figur, die er zwischen Leinwand, Papier und Bühne wandern lässt, nicht er ist, sondern nur ein scheinbares alter ego, mit dem er spielen und die Welt anders betrachten kann, weil er mit diesem spiegelbildlichen Mann ein Medium gefunden hat, in dem er auftreten lassen kann, was ihn bewegt, was sich von draußen in sein Studio drängt oder als Verwandlungslust aus ihm Bahn bricht.
Alles in seinem Werk ist in diesem Sinne Prozess. Das Grundprinzip seiner Arbeit ist die Session. In ihr kommt Disparates - Bilder, Fundstücke, Fantasien - wie im Reagenzglas zusammen, reagiert aufeinander und schafft etwas Neues. Was «fest» ist - die Zeichnung, die Skulptur, die Worte - verflüssigt sich in den Filmen und Performances und so entwickelte Kentridge sich auch selber vom Zeichner zum Regisseur und Universalkünstler, wobei die Elemente seiner Arbeiten, die Plastiken, Apparate, Filme oder Texte aus einem Werk, einer Vorlesung etwa, nahtlos übergehen in eine Aufführung oder Ausstellung und vice versa in jede Richtung - er schafft inzwischen mit immer höherem Tempo einen sich ausdehnenden Kosmos, dessen Hintergrundrauschen die Begegnung von Europa und Afrika ist, von Avantgarde und Zweifel. Diese Selbstverunsicherung des Werkes, sein sich ständiges Umschaffen und Kinderzeugen, braucht das Studio als Labor.
Alles ist Prozess
Diese sonst eher verborgenen Orte dieser Sessions wurden in dieser Ausstellung mit beiden im Gropius Bau präsentierten «Wunderkammern» selber zum Werk und zugänglich gemacht - es sind jene Studiokammern inmitten der Ausstellungsräume, die den Besucher in die Alchemistenküche des William Kentridge schauen lassen. Hier ereignen sich die magisch verrückten, zeiten- und weltenverkehrenden Animationen, die diese Ausstellung versammelt und genauso sind auch die Performances von William Kentridge Animationen von Bildern und narrativen Partikeln, Tanz und Objektkunst. Sie bringen sich gegenseitig hervor- und voran: Die Zeichnung, die Film wird, die Skulptur, die Bewegung, Gesang, Geschichte wird. Alles hängt zusammen mit allem in diesem Kentridge-Kosmos und wir sind glücklich, dieses Werk in den nächsten Monaten in beiden Häusern der Festspiele entfalten zu dürfen.
In jeder dieser Arbeiten schaut man William Kentridge beim Denken zu. Wir sehen ihn beim Verfertigen von Verbindungen: Das fertige Buch, Bild oder Stück ist, so scheint mir, nur der Container für einen Prozess, der in immer anderen Formen aufbewahrt und in Gang gehalten wird. Wenn William Kentridge eine Oper vorbereitet oder Modelle baut, so führt diese szenische Arbeit immer auch zu einer bildnerischen und vice versa - er veröffentlicht den Prozess und zeigt Objekte, die wiederum auf den Prozess verweisen. Deshalb passt das Oeuvre dieses Künstlers gut zu den Festspielen und es war die Idee von Beginn an, unsere beiden Häuser durch ihn zu bespielen.
Wulf Herzogenrath für diese Ausstellung, die ja auch ein Ort der Aufführungen, des Studios, der Begegnung wird, und Matthias von Hartz, der mit William Kentridge daran gearbeitet hat, unser Theaterhaus zum Geisterhaus all jener Wesen zu machen, die in William Kentridges Performances und Lectures ihr wildes Treiben zeigen, haben die vielen Welten im Oevre des Künstlers zusammen geführt. So kann in den Räumen der Festspiele ein schönes Hin- und Herwandern der Erfahrungen und Formen stattfinden, der Werke und hoffentlich auch des Publikums. Danke William Kentridge, danke Gereon Sievernich, danke Susanne Rockweiler für das sehr besondere Vermittlungsprogramm, danke Caroline Hochleichter und den Mitarbeitern im Festspielhaus für das ungewöhnliche und doch so werkimmanente und fruchtbare Zusammenwachsen all dessen, was bei Wiliam Kentridge zusammen gehört, weil es zusammen entsteht.
Now it is!