Jurybegründung zur Verleihung des Internationalen Ibsen-Preises an Peter Handke

Jurymitglieder: Hanne Tømta, Dr. Thomas Oberender, Per Boye Hansen, Roman Dolzhanskiy, Christiane Schneider, Jonathan Mill

Oslo, den 20.März 2014

 

 

Man kann sich Peter Handke gut als den Antipoden des Dramatikers Henrik Ibsen vorstellen: Er ist der Epiker, der erfindungsreiche, auch durch seine Übersetzungen an der Antike geschulte Erzähler auf der Bühne. Während Ibsens Dramen auf eine perfekte Geschlossenheit der Form hinauslaufen, ist die Geste des Dramatikers Handke eine der Öffnung, des offenen, sich selber als Theater herzeigenden Spiels. Und doch ist beiden Künstlern vieles, und vielleicht Zentrales gemein: Ihr Entdeckersinn. Die Fähigkeit, Sonde im Gesellschaftsgefüge zu sein. Ihr Fernsein vom eigenen Heimatland und doch unablässiges Arbeiten an einem möglichen Begriff von Heimat und einer ihm angemessenen Literatur. Sie sind vernarrt in Illusionen. Musik ist ihnen Lebenselement und Erkenntnismittel zugleich. Und vielleicht rührt daraus auch die Fähigkeit beider Künstler, vor allem Strukturen sprechen zu lassen: Ihr Staunen über eine Beobachtung im flüchtigen Lebenszusammenhang ist der Ausgangspunkt, und sie machen diese Lebenswelt plötzlich bühnentauglich – zum Element einer bis dahin im Theater noch nie vernommenen Sprache. Wie ein Mensch zugrunde geht, ihm eine Form spiritueller Erleuchtung zuteil wird oder der Partisanenkampf eines Volkes nicht zur Befreiung, sondern zu seiner Tragödie führt – beide Künstler haben, bis ins fortgeschrittene Alter hinein, für solche Beobachtungen immer wieder erneuernde Erzählformen für die Bühne ersonnen, mit denen ihr literarisches Werk der Theaterpraxis stets einen Schritt voraus war, visionär wirkte und sich als szenische Phantasie bewährte.