«Kriegstheater und Spektakelkriege» 

Über das Verhältnis von Krieg und Theater
von Thomas Oberender

 

 

Ich kenne keine Aufführung, an deren Ende die Szene aufgeräumter wäre als zu Beginn. Jede Aufführung ist ein entropischer Prozess. Nie ist eine Bühne zum Schluss aufgeräumter als zu Beginn des Spiels. Die Unordnung der Szene, ihre Verschmutzung, Demolierung und Besudelung – dieser gewaltige Verbrauch von Mitteln, die auf die Bühne getragen werden, um ihren angestammten Platz in der Ordnung der Dinge zu verlieren, ihre Unversehrtheit und natürliche Schönheit, all dies deutet darauf hin, dass auf der Bühne Schlachten geschlagen werden, in deren Verlauf etwas zusammenbricht, das bis eben noch als heil und unverbrüchlich galt: Eine Beziehung zum Beispiel, ein Familienleben oder eine dynastische Ordnung. Scherben auf dem Boden, Blut an Händen und Kleidern, zerschlagenes Mobiliar, Eiersalat unter den Schuhsohlen und umstürzende Wände – am Ende herrscht tabula rasa, alles, was einmal für die Einrichtung der Welt galt, ist in Auflösung geraten und in der Regel wird auf der Bühne nur dieser Niedergang beschrieben. Selten etabliert sich während der Aufführung eine neue Ordnung – die kommende Macht bleibt meist Andeutung, ein kurzer, symbolischer Gruß der neuen Zeit wie der an Falstaff: dieser Aufblitz des Künftigen reicht. Das Drama aber war der Niedergang, der Verzehr von Ordnung im Aufeinanderprall der Mächte und die Geburt des Anderen. Am Schluss gleicht das Bühnenbild einem verlassenen Schlachtfeld, einer verheerten Landschaft, einem geplünderten Salon. Warum lässt sich diese entropische Tendenz in den Aufführungen des Theaters scheinbar nicht umkehren?