«Performativ Visual Arts»

Anne Imhofs «Doom: House of Hope»

Thomas Oberender

Robert Wilson begründete seine Abneigung gegen psychologischen Realismus und gut gebaute Stücke auf der Bühne einmal mit dem Hinweis, dass er es verabscheut, wenn ihm als Betrachter in jedem Augenblick der Aufführung gesagt wird, was er zu denken hat. Ein Bild hingegen, so Wilson, sagt dir das nicht. Anne Imhof nennt ihre New Yorker Produktion «Doom: House of Hope» eine Performance und man kann sie als solch ein offenes Bild empfinden, etwas, das geheimnisvoll und auratisch wirkt. Und zugleich ist «Doom» eine big show, eine visuelle «listening Party» mit einer Geschichte, die ihr fixes Timing besitzt und diverse Choreografien, Schauspielszenen, Screenings und Konzertmomente vereinigt. So entstand Imhofs eigene Meditation über Shakespeares «Romeo und Julia».

Am Anfang des Abends schauen die gut tausend Gäste in der Park Avenue Armory hinter einer Absperrung aus stählernen Bühnenbarrikaden in die dunkle Halle, in der eine Flotte von über zwanzig schwarzen Cadillac-SUVs parkt, überragt von einem riesige Jumbotron, auf dessen Screens die Spielzeit von 3 Stunden in roten Nummern strahlt. Im Moment, da die sphärische Musik lauter wird, setzt der Countdown ein, die Uhr tickt und vom gegenüberliegenden Ende der Halle schreiten als schlanke Silhouetten im Gegenlicht 40 Performer in Richtung der wartenden Besucher, kühl und ausdruckslos wie in einer Modenschau. «We‘re doomed», rufen sie nahe der Absperrung, einige erklimmen die metallischen Absperrgitter, andere auf die Dächer der Cadillacs. Shakespeares Stück beginnt an diesem Abend mit seinem Ende, der Grablegung der Liebenden. Und dann öffnen die Performer die stählernen Bühnenbarrikaden und das Publikum strömt ins Dunkel der 5000 Quadratmeter große Halle.

«Doom: House of Hope» steht in der Genealogie von Imhofs Opern «Angst I & II» am Hamburger Bahnhof oder ihrer Ausstellung «Faust» im Deutschen Pavillon der Venedig Biennale. Wieder kreiert Imhof einen Raum, den sich Performer und Publikum teilen. Die Besucher bewegen mittendrin in dieser Arbeit, nur ist das Werk diesmal größer, direkter an einen Stoff gebunden und bildet ein riesiges, heterogenes Ensemble aus Schauspielern, Flexn und Line Dancern, klassischen Ballett-Tänzern, Skateboardern, Models wie Levi Strasser als Romeo oder Talia Ryder als Julia und Musikern wie ATK44’s aus Berlin, Jacob Madden oder Lia Wang. Die Rollen von Romeo, Julia, Mercutio und Tybalt werden sowohl durch Performer wie auch Tänzer und Musiker besetzt, so dass die Identitäten gleiten und auch die künstlerischen Ausdrucksweisen einzelner Figuren innerhalb des Casts zwischen Sängern und Schauspielern wechseln.