«Engel und Dämonen»
Stück in drei Akten
von Thomas Oberender
Freilichttheater für die Luther-Festspiele Wittenberg
Besetzung: 3D, 6H
Das Spiel beginnt in den Ruinen eines Fabrikgeländes am Ende eines Abschiedsfestes. Matthias hat seinen Freunden Lebewohl gesagt und seinem Fach, der Theologie, auch. In Wittenberg wird er sein eigenes Stück über Martin Luther inszenieren, mit Schauspielern und Laien. In dieser Nacht wir sein Vater gefunden, am Strick baumelnd, ein schon zerfressener Leichnam: die Reste des prominenten Predigers, der vor 1989 zu Widerstand und Friedensmärschen aufgerufen hatte. «Engel und Dämonen» erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der in den Jahren nach 1989 seinen Glauben verlor. Die Worte der Bibel geben ihm nicht länger Halt, vielmehr die Kunst, die Bücher seines eigenen Lebens. «Die Bibel des Theaters ist der Text» - in diesem Sinne schrieb Matthias ein Theaterstück über das historische Entscheidungsjahr in Luthers Leben und Epoche, das Jahr 1525 - Bauernkrieg, Luthers Versöhnung mit dem Vater, seine Heirat, Ausbau einer Landeskirche sind die Stichworte. Die Aufführung seines eigenen Theaterstückes stellt indes auch Matthias vor eine Prüfung - sein Volk, sein Spielvolk verlässt ihn, da es ihm als Regisseur misstraut.
Anstatt weiter in seiner Inszenierung mitzuspielen, übernehmen seine Darsteller eine Rolle beim Wittenberger Stadtfest und feiern «Luthers Hochzeit» als fröhliches Spektakel. Am Ende des Stückes begegnet Matthias einem Luther wieder, an den niemand mehr glauben muss und den doch jeder kennt - Luther, gemimt von einem Freund und Theologen, posiert für Postkarten und Werbebroschüren. Wenn Matthias am Ende des Stückes noch einmal die Thesen der letzten protestantischen Revolution in deutschen Landen verliest, klingen sie in ihrer Mischung aus Utopismus und Trivialität heute beinahe komisch - die gelangweilten Zuhörer verlassen ihn genauso wie seinen Vater, der sich vereinsamt das Leben nahm. Jener Engel, dem Luther gelobte, ein Mönch zu werden, erschien dem Reformator in späteren Lebensjahren als leibhaftiger Teufel.
«Engel und Dämonen» spürt als Theaterstück solchen Wandlungen, Übergängen und Echos nach. Die angebetete Schauspielerin, für die Matthias sein Stück geschrieben hat, verlässt ihn und am Ende begegnet er jener Frau wieder, deren Liebe er für seinen Traum vom Theater geopfert hat. Luther für die Deutschen zu retten, das bedeutet, ihn als zerrissenen Menschen in zerrissenen Zeiten wieder zu entdecken. Im Rückspiegel des Dramas erschienen die deutsche Geschichte und Luthers Erbe in den Biografien der Figuren, die sich zu einem Bild der Gegenwart verdichten.å
UA: Luther-Festspiele, Wittenberg, 11.07.1998. R: Peter Ries
(c) Verlag der Autoren
Fotos
II/1
Platz vor der Stadtkirche Wittenberg. Vor der Kirche eine Bühne. Matthias wartet auf die Schauspieler für die Probe, ein Freund seines verstorbenen Vaters, Geistlicher am Ort, besucht ihn.
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Matthias
Du warst der beste Freund von meinem Vater - nimm mich jetzt nicht ins Verhör, da er noch nicht ganz tot ist, hier in mir. Er hätte Abschied nehmen sollen, so ist er nur fort. (Holt die Uhr hervor.) Wo bleibt sie?
Bernhard
Wenn du wissen willst, was ihm den ärgsten Stoß gegeben hat, warst du. Daß du, nach allen anderen, ihn verlassen hast, daran ist er zerbrochen.
Matthias
Was ist das für ein Gott, den ihr da habt? Man wird, so heißt es, was man haßt. Daß mir der Glaube fehlt, verdanke ich ihm. Gott wohnt nicht mehr im Schmerz, im Kummer, der uns bricht, genauso wenig in der Liebe - Gott, wie Gott geworden ist, ist so banal.
Bernhard
Den Schauder, wollt ihr alle, nur unverpflichtet, wie es paßt. Wenn du nicht dienst, bleibst du bloß fromm wie Atheisten. Gott ist die Kirche, alles andere bist du.
Matthias
Der Gott von Reihe eins bis zwanzig ist das Geld. / Jeder schämt sich, ES / auch so zu nennen, obwohl er Andacht hält / beim Kassensturz und zittert, wenn / ES fehlt! Jedes / Wunder hängt am Geld, das tröstende, das uns erhält. Dafür / bringe ich Opfer. Doch wem opferst / du? Und zweitens, endlich, nehmen wir / ein Buch, das mich zu Tränen rührt. Ich spüre da, / durch dieses Buch hindurch spricht etwas / meine Seele an, das mich / berührt - ich weiß nicht, was. Vielleicht: / Die Liebe - sie wär drittens, und von allem / - Geld und Gott und Schönheit - / eigentlich der wahre Grund. Und Liebe ist / viel mehr als lieb sein, wie es Christen sind, schau: / Wenn man sich in den Himmel vögeln könnte, / wäre ich drin. / Davon finde ich dort nichts - dort / ist Gott Gewäsch.
(…)