«Bilder des Anthropozän»

Rede anläßlich der EÖ von Thomas Struths Ausstellung «Nature & Politics» am 6. Juni im Martin Gropius Bau.

Von Thomas Oberender

Anthropozän ist der Begriff für ein Zeitalter, für das die durch den Menschen unumkehrbar veränderte Natur konstituierend ist. Es beschreibt ein geologisches Kapitel, dessen Leitfossil der Mensch gewesen sein wird und derzeit noch ist. Einer Naturgewalt gleich prägt sein Handeln die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde seit der industriell technischen Revolution, und um auf diese Zäsur hinzuweisen, wurde dieses Wort im Jahr 2000 von den Wissenschaftlern Paul Crutzen und Eugene F. Stoermer geprägt. Thomas Struths Fotografien, die er unter den Titel «Nature & Politics» stellt, sind Dokumente dieses Anthropozäns.

Sie sind es auf mehrfache Weise: Sie zeigen Bilder eines, Ernst Jünger hätte gesagt, «titanischen Zeitalters», in dem die Hochtechnologien Kräfte und Prozesse entfesseln, deren Wirkungen denen der Naturgewalten entsprechen. Die «Gestelle» dieser Erforschung, Beherrschung und Nutzbarmachung der Natur zeigen die Bilder Thomas Struths als Ansichten der Labore, Werkstätten und Testräume eben dieses vom Menschen gemachten Neuen, das dem Zeitalter seinen Namen gibt.

Durch diese Bilder nimmt uns Thomas Struth mit in die sonst verschlossenen Baustuben des Neuen, und lässt uns über die Schönheit dieser «anonymen Skulpturen», wie er die Apparate der Wissenschaftstechniker nennt, staunen wie über zeitgenössische Kunstwerke. Es ist die Natur der Naturbeherrschung, die in diesen komplizierten und imposanten technischen Konstruktionen sichtbar wird. Zugleich wird in der rationalen Architektur dieser Apparate und Labore aber auch überraschend viel Handgemachtes sichtbar – das Bastelwerk besessener Erfinder, die knittrige Aluminiumfolie um Kabelstränge legen, improvisieren und das kalte Wunderwerk mit Zettelchen beschriften. So zeigt die von Tobia Bezzola co-kuratierte Ausstellung eine Serie eindrucksvoller  Originalprodukte einer weltweiten Forschung, die von Tüftlern ersonnen wurden, nicht von Künstlern. All diese Laborapparaturen sind gemacht, um zu funktionieren, nie um zu repräsentieren. Sie sollen zu Ergebnissen führen, aber kein Ergebnis sein – sie sind, wozu sie dienen, und haben in der Regel kein Publikum, sondern nur Wärter und Betreiber.

Ganz anders ist dies in der zweiten Werkgruppe dieser Ausstellung – sie zeigt in  gegensinniger Weise die Simulation einer Form von landschaftlicher oder architektonischer Natur, die zum Konsum geschaffen wurde. Künstliche Seen und Berge in Disneyland, fiktionalisierte Orte, Natur-Konstruktionen, Paläste des Scheins, die ausschließlich für den Konsum und Augenschein geschaffen wurden – zur Sichtbarkeit für alle, ohne Rätsel, ohne Spuren ihrer Baumeister.

Die zunächst in Essen entwickelte und dann in Berlin noch einmal ganz neu bestückte Ausstellung «Nature & Politics» gewährt den Betrachtern einen doppelten Zugang: Erstens lässt uns der Fotograf in die sonst verschlossenen Labors und Werkstätten der Forscher und Techniker schauen, für die alle Naturstoffe nur ein widerspenstiger, geheimnisvoller und oft flüchtiger Rohstoff sind. Thomas Struth zeigt die Abdrücke des Geistes im gebastelten Zeug der Wissenschaftler – ihren Testanlagen, Operationseinheiten und Laboren. Diese Anlagen folgen, dem Wortsinn nach, als nützliche Ordnung einem Plan – sie sind Instrumente der Einflussnahme und also Zeugnisse einer Politik, welche vermittels solch schöner Apparate Erdgeschichte schrieb.

Spiegelbildlich zu den Hochsicherheitszonen zeigt die zweite Werkgruppe die Natur als Show und Kulisse: die simulierten Landschaften der Erlebnisparks mit ihren künstlichen Seen, Canyons und Bergen, als Gebrauchsartikel für den Menschen als Konsumenten. Auch diese Aufnahmen entwickeln eine ästhetische Anmutung, die der Ruhe des unsentimentalen Blicks des Fotografen entspringt, der das Grandiose und Schwindelerregende des Anthropozäns zeigt. Aber Thomas Struth rückt in diesen Serien auch immer wieder die Menschheit beiseite und blickt plötzlich  unmittelbar auf den Menschen – seine trickreichen Bemühungen, die Spuren, die er gräbt, und wie er am Ende daliegt als Fleisch auf dem OP-Tisch der Maschinen.

Es gibt also auch eine Kunst der Einflussnahme von Seiten des Künstlers, obwohl er sich genauso reflektiert und ruhig im Hintergrund hält wie die Schöpfer der vor ihm aufgebauten Welten. Und doch signalisiert das Fotografieverbot für sein in Berlin ausgestelltes Bild «Figur II», dass jene kranke, anonyme Person, die Thomas Struth in der Berliner Charité in einer Situation fotografierte, da sie sich den Apparaten anvertraut, eine Art Schutz verdient und selber kein Ding ist, sondern ein Mensch im fragilsten Zustand der Ohnmacht und Hoffnung, der mitten im Anthropozän eben nicht zum Material werden darf. Der Saalwächter vor diesem Bild ist ein Wächter für mehr als das Bild. Thomas Struth gibt seinem Bild eine Art Aufsicht zur Seite, die den nackten Leib der Frau, ihre intime, wehrlose Situation vor dem Raum durch Konsum bewahren möchte – ein Paradox, wenn man so will, ähnlich dem Fotografieverbot im Theater, das auf der Bühne doch im gleichen Moment das Leben so schonungslos darbietet wie nirgends sonst. Ich verstehe das mit diesem Werk verbundene Bildverbot als eine ethische Geste des Künstlers, die das Problem der problematischen Politiken, wie sie in den Bildern durchgehend thematisiert wird, pointiert. Nur so wird es zeigbar. Selten glaubte ich Bilder so schnell zu verstehen wie diese lichten, klaren Ordnungen von Thomas Struth, und selten geben Fotografien mir so lang und viel zu denken, da ich sie längst nicht mehr vor Augen hatte.