«Wir sind die Kritik»
Sebastian Bauer: Abschreckung, Nostalgie oder revolutionäre Tat – was soll überwiegen, bei der Verkleidung des Hauses der Berliner Festspiele als Palast der Republik?
Thomas Oberender: Dieses Jahr ist das Jubiläumsjahr zu 30 Jahren Maueröffnung, zudem wird das Humboldt-Forum eröffnet. Gleichzeitig hat man das Gefühl, wir driften 30 Jahre nach der Maueröffnung eher auseinander, als dass wir zusammenwachsen. Woher kommt die Bitternis im Osten, das Kopfschütteln im Westen? Wir brauchen ein Empowerment Ost, etwas, das einer anderen Betrachtung der letzten 30 Jahre Raum gibt. Dafür wollen wir ein Zeichen setzen und eine Plattform schaffen.
Hätten Sie es besser gefunden, man hätte den Republikpalast nicht abgerissen?
Ich denke schon, dass es besser gewesen wäre. Für mich ist es eine Bilderstürmerei, die selbe wie die Bilderstürmerei der DDR gegen das alte Schloss.
Sie wollen auf andere Art von der Wende und der Nachwendezeit erzählen. Kommen die Geschichten und Biografien der Ostdeutschen in der öffentlichen Debatte zu wenig vor?
In den 90er Jahren kategorisierte man die Ostler mit der Frage, ob sie Täter waren oder Opfer. Im Grunde ist ja beides furchtbar. Da bleibt nur Scham. Und das Leben war auch nicht so. Jeder Film von Andreas Dresen erzählt davon. Ich habe in der DDR Solidarität erfahren, Mut und genauso Wut und Widerstand. Die DDR hat Satelliten gebaut, Computer, leider auch Dopinglabore und den Trabant, und einen Palast. Es war kein Entwicklungsland und die Revolution 89 hatte nicht die D-Mark zum Ziel, sondern ein anderes Land.
Wie groß ist der autobiografische Einfluss? Hatten Sie auch Schwierigkeiten, Ihre Geschichte zu erzählen?
Ostdeutscher wollte ich nie sein. Aber ich bin es geworden, weil etwas kränkend ist an der Art, wie über Ostdeutschland gesprochen wird. Was in den neuen Bundesländern passiert, berührt mich. Was ist mit unserer Revolution passiert, dem Widerstand in Bischofferode? 4,1 Millionen Arbeitsplätze verwaltete die Treuhand im Osten 1990 und 1,4 Millionen blieben davon 1994. Wenn jetzt dort prozentual doppelt so viele Menschen wie in den westlichen Bundesländern die AfD wählen, liegt das an einer unerzählten Geschichte. Und mit ihr fangen wir jetzt an. Es geht nicht um die Verklärung dieses Honecker-Palastes, sondern darum, dass in seinen letzten Tagen dort die erste frei gewählte Volkskammer saß, und seine Ruinen für ein paar Jahre für die Offenheit einer historischen Situation standen.
Rechnen Sie mit Kritik?
Wir sind die Kritik. Aber das kann man natürlich toppen.
Das erinnert an das DAU-Projekt, bei dem in Berlins Mitte ein Stück Mauer wiedererrichtet werden sollte.
Unseren Palast im Festspielhaus hatten wir da aber längst geplant. Im Grunde geht es uns ja eher um eine produktive Erinnerung und auch Freude. Der Palast passt gut nach Wilmersdorf, denn das alte Westberlin war nicht die Bundesrepublik. Hier war es anders, ein Ort für Freigeister, und auch für sie bauen wir am Sonntag den Musikpalast, machen ein ‚all people‘-Konzert und zeigen neben den Gesprächsrunden an drei Tagen viel Performance, Filme und Kunst.
In Paris konnte DAU ohne vergleichbare Konflikte stattfinden. Erleben Sie die Kritik, wie sie DAU hier auslöste, als ein deutsches Problem?
Ja, wir haben mehr Angst vor Veränderung. Es wächst eben nicht alles zusammen, was zusammengehört, wie Willy Brandt sich das wünschte. Manches entzündet sich auch. Die sanfte Selbstverständlichkeit der alten Bundesrepublik, überlegen zu sein, erfuhr zwar ein paar Erschütterungen, aber keinen Bruch. Eine Wende zum Guten wird es nur geben, wenn wir das Gute in der Wende achten. Wir wollen daher im Palast die Akteure von 1989 mit der Reformagenda von heute zusammenbringen. Wie Archäologen wollen wir die Scherben ausgraben, und hoffentlich auch ein Lächeln.
Kann Kunst schaffen, was Politik 30 Jahre nicht geschafft hat?
Eher nicht. Und zugleich kann sie viel mehr: Kunst gibt uns ein Gefühl für andere Realitäten, Kunst zeigt uns spielerisch, wie man Perspektiven wechselt und Kunst stiftet Empathie, Mitgefühl, macht Verletzungen spürbar, aber erliegt ihnen nicht.
Sind unsere aktuellen Probleme so zu retten?
Ich weiß es nicht. Noch wählt die überwiegende Mehrheit ja liberale Parteien. Und auch AfD-Wähler sind keine satanische Sekte. Sie sind unsere Mitbürger, deren Freiheitsbegriff wahrscheinlich ein anderer ist, aber aufgeben sollten wir sie nicht.
Ist der Standort des Hauses ein guter Ort, um Menschen zu erreichen?
Naja, mittendrin ist was anderes. Aber ich hänge an diesem dezentralen Berlin. Mit dem Humboldtforum plus Museumsinsel und dem Kulturforum entstehen diese neuen Graviationszentren, aber Berlin hatte immer seine glücklichen Inseln im Abseits. Und vielleicht sind wir so ein selten gewordener Ort der Überraschungen.
Haben Sie viel Publikum aus den östlichen Bezirken, die jetzt auch Ihren Palast der Republik besuchen könnten?
Seit die Schwaben alle im Osten wohnen, ist es schon besser geworden. Aber noch lange nicht gut. Den Palast bauen wir aber ganz bewusst im Westen, damit auch er es mal gut hat.
Ist die Palast-Fassade als Bewerbung gedacht, um im Humboldt-Forum vorzukommen?
Selbstverständlich. Das ist unser ganz großer Traum. Weil da kommt man ja nur mit Provinienznachweis und seiner kompletten Geschichte rein. Genau das brauchen wir jetzt.