«Schlachten ohne Krieg»
Zu «Blackout» von Internil / Arne Vogelgesang
Die Uraufführung des Stücks «Blackout» des Kollektivs internil im Berliner Theater Discounter wurde angekündigt als «Infotainment über Krieg und Spiele im Cyberspace.» Es ist ein Stück über Konflikte, die sich im digitalen Raum hybridisieren, deren Akteure aber selten sichtbar werden und doch eine Art globalen Proto-Krieg in Gang halten, der ab und an zu echten Blackouts führt. Diese Formatankündigung lässt an Fernsehen, Influencer oder Youtube denken und wie die meisten Stücke von internil beruht «Blackout» auf Dokumenten und wahren Begebenheiten, die über lange Zeiträume hinweg im Internet recherchiert wurde. Und genau dort ist auch der Livestream zu sehen, der mit einer eigenen Dramaturgie parallel als online-Variante des Stücks entsteht. Dafür hat das Kollektiv GUT Holz Strahl ein Bühnenbild als Mischung aus Fernsehstudio und Messestand gebaut. Zwischen seinem Infostand und Projektionswänden bewegen sich die Performer Christopher Hotti Böhm, Marina Dessau und Arne Vogelgesang, begleitet von einem Liveoperator für die Steuerung einer Drohne und eines kleinen Kameraroboters auf vier Rädern für die Zuschauerinnen vor den Bildschirmen.
Das Thema des Stückes ist wie bei jeder Infotainment-Show reißerisch: Wo Blackout drübersteht, erwarten wir drunter Katastrophen, Gefahr und große Gefühle. Marc Elsberg hat vor zehn Jahren einen Bestsellererfolg über den Abgrund geschrieben, der in Dunkel des Blackouts lauert. In diese verborgene Welt begibt sich internil in seiner neuen Produktion. Sie untersucht dabei weniger den Zustand des «Blackout» selbst, als die beunruhigende Frage, was zu ihm führt.
Der Abend beginnt mit einem Monolog von Marina Dessau über die Erinnerung an eine Clubnacht, die nach ein wenig Ecstasy zum beglückenden Rausch wurde und am nächsten Morgen mit der nüchternen Außenwahrnehmung ihres Freundes kollidiert. Für kurze Momente war ihr eigenes «Ich» weg - wer war sie dann? Von der privaten Erfahrung eines Blackouts führt die Recherchereise der Show zu den verborgenen Hackerkriegen im Internet, die mit Viren und Trojanern Computersysteme und Infrastrukturen angreifen, ohne dass diese permanenten Attacken je wirklich sichtbar werden, es sei denn, es kommt zu großen Blackouts wie in Mumbai oder Mannhatten.
Arne Vogelgesang nannte das Stück zu Beginn eine «Plattform». Sie beherbergt verschiedene Modul mit Titeln wie «Crouching Panda» heißen, «Gleichgewicht des Hackens» oder «Modul of Cyber Games». Sie führen auf die Schlachtfelder internationaler Konflikte, die sie sich vorerst nicht zu formalen Kriegen ausweiten, da die Kontrahenten in der Regel Staaten mit Atomwaffen sind, deren Trollarmeen und Hackerbrigaden sich pausenlos in Schlachten ohne Krieg befinden. Die Show demonstriert dies durch Filmeinspielungen und Vorträge im Stil von forensic architecture, die anhand von Luftbildern und geleakten Cyberidentitäten dieser großen Schlacht ohne Krieg im Cyberspace liefern.
Aber auch, indem die Performer*innen mit Drohnen und Waschmaschinen spielen, um den unsichtbaren Akteur*innen dieser virtuellen Konflikte, den digitalen Viren und Würmern, eine reale Präsenz zu geben. Die Funktionsweise des Stuxnet-Trojaners, der die Zentrifugen einer iranischen Urananreicherungs-Anlage zerstörte, wird in der internil-Show zum Beispiel in einer Versuchsanordnung demonstriert, in der Marina Dessau durch immer heftigeres Kurbeln an der Wäschetrommel die alten Maschine zu Schrott verwandelt. Und so berichtet das Stück auch von unserer Angst als Menschen, als verletzliche Biokörper vor diesen immateriellen Mächten, die in der globalen Datensphäre wirken und unsere Sicherheit im offline-Leben real bedrohen.
Internil dezentralisiert in «Blackout» wie bereits in frühren Aufführungen die Rolle des Live-Performers, also des Menschen. Neben ihm erscheinen auch nicht-menschliche Figuren, Cyber-Persona, Roboter oder Module mit Dokumenten aus anderen Medien. Dieser Raum ist auf Rückkoppelung angelegt und partiell durchlässig für das Publikum, das im Chat eine eigene Stimme erhält. «Blackout» ist als Plattform für die unterschiedlichsten Narrationen offen – im Stück ist das Publikum genauso zu hören ist wie Dokumente aus dem Internet. Die für diesen Abend typische Direktansprache des Publikums im Saal und vor dem Bildschirm erinnert an die Formate der sozialen Medien und die den Moderator*innen und Influenzer*innen eigene Theatralität.
Dieses hybride Theater erinnert an Bruno Latours Idee vom Labor, vom Wissenschafts-Theater, das seine Ergebnisse und Modelle wirksam für die Öffentlichkeit inszeniert, um neues Wissen plausibel und populärer zu machen. Einerseits ist «Blackout» also eine Lecture-Performance, die viel Expert*innenwissen über den Cyberkrieg und seine klassischen Hacks vermittelt. Andererseits ist es doch eine recht neue Form von Theater, in der kein Regisseur mehr nach Hause geht und das Publikum nicht mehr durch die vierte Wand schaut, weil die Live-Regie das «Draußen» ins Stück läßt. Der Publikums-Chat steuert die Kameradrohne und erzeugt ein aktives Gruppengefühl der Zuschauer*innen. Man merkt der Aufführung von «Blackout» am Premierentag an, wie herausfordernd dieses Live-Navigieren durch all die Cues für Einspielungen, Performanceeinlagen, Chatbetreuung und Infokommentar ist.
Arne Vogelgesang hat vor vielen Jahren einige Semester Ethnologie studiert und das merkt man den Produktionen von internil bis heute an – sie sind eine Form von szenischer Feldforschung, getrieben von der Neugier auf deviante Phänomene, die sich in der Anonymität von 4chan oft radikaler ausleben als in der alten Welt. Das Stück zeigt konkrete Szenen aus dem Grenzkonflikte von Pakistan, Indien und China mit den damit verbundenen online-Kriegen, es analysiert die Angriffe auf die Atomanlagen des Iran oder führt in das Fernsehstudio des Computerjournalisten Wolfgang Rudolf, der uns die «Infohygiene» für Mobiltelefon erklärt - z.B. alle nichtverwendete Apps sofort zu löschen und kein GPS zu verwenden.
Wie in früheren Produktionen vertieft sich internil in das mediale Theater der Netzcommunities, um von dort auf «uns» zu schauen. Der Abend verbindet vieles, was scheinbar nicht wirklich zusammen gehört - aber plötzlich vermittelt sich uns ein tieferes Bild unserer Lage. Das Erwachen nach der Drogennacht von Mariana Dessau verbindet sich im Laufe des Abends mit der Entdeckung eines globalen Vor-Krieges im Cyberspace und unserer unfreiwilligen Nähe zu ihm. So schafft «Blackout» einen Situation Room von drei Performern, die solche Entwicklungen beobachten und nachspielen.
Für einen Augenblick wirkt es so, als würde dieses Aufklärungsstück über den Cyberkrieg plötzlich selbst gehackt. Und das erinnerte an Vogelgesangs Film «This is not a Game», der den Weg von alternate reality games wie QAnon zur realen Erstürmung des Kapitol in Washington nachzeichnet. Auch «Blackout» beschreibt das Umkippen der Ereignisse im digitalen Raum in die physische Welt, vom virtuellen Cyberkrieg zum realen Blackout.
Am erstaunlichsten an der Arbeit von Internil ist nicht so sehr die Stoffwahl, sondern die Konstruktion eines einzigartigen Übergangsraums. In ihm verbindet ihre Bühne die online- mit der offline-Welt und zeigt die Querbezüge zwischen Drogen und Code, zwischen mathematischer Eleganz und staatlicher Gewalt, zwischen dem Theater der Netz-Communities und den Körpern der Performer*innen.
«Blackout» schafft eine Theaterform des digitalen Zeitalters und endet mit einem klassischen Monolog: Plötzlich wird es auf der Bühne dunkel, auf den vielen Screens lodern Streichhölzer ihrem Verglimmen entgegen, während Arne Vogelgesangs angenehme Stimme vom Versinken der Großstadt im Blackout und Chaos berichtet. Auch wenn dieses Stück die Konstruktion einer ganz anderer Gegenwartsmaschine demonstriert, sind seine wahren Begebenheiten immer auch eine bewegende Begegnung mit Menschen.