Gespräch mit Sonja Zekri zum unplugged Ausstellungs- und Festivalprojekt «Down to Earth»
Die Kunst widmet sich seit langem mit leidenschaftlicher Sorge dem Klimawandel. Aber wie klimaschädlich ist es, Kunst zu produzieren und zu präsentieren? Ab Donnerstag ist darauf im Berliner Gropius-Bau eine Antwort zu finden. Für die Ausstellung «Down To Earth» legt das Haus seine Verbrauchsdaten offen. Zuvor erklärt Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, warum alle Erde im Museum gekocht wird.
Sonja Zekri: Im Keller des Gropius-Baus gibt es eine Klimazentrale, als hätte das Haus ein eigenes Klima. Wie fällt die Bilanz aus?
Thomas Oberender: Wir sind leider Großverbraucher. Wir haben zwar 2013 das Umweltzertifikat EMAS bekommen, messen und veröffentlichen unsere Verbräuche und vermeiden Müll. Aber erst durch «Down To Earth» haben wir das Betriebssystem des Ausstellungsmachens selbst verändert. Für «Down To Earth» habe ich gelernt, wie die Luftbefeuchtung im Haus funktioniert, warum wir Fenster aufmachen können oder nicht.
Ausstellung bedeuten oft Fliegerei - für Kuratoren, Künstler, Kunstfreunde. Wie reagiert «Down To Earth» darauf?
Diese Sachen fangen an, obszön zu werden. Keiner der beteiligten Künstler oder Kuratoren ist für «Down To Earth» geflogen - von einer coronabedingten Ausnahme abgesehen. Und das hat keine Krisen ausgelöst.
Sondern?
30 Jahre nach der Revolution im Osten sind wir an der nächsten großen globalen Wende angekommen. Diesmal sprechen wir nicht vom Ende der Geschichte, sondern dem Beginn einer anderen Form von Geschichte - und die ist nicht mehr das Anthropozän. Es ist das Zeitalter einer planetarischen Sorge. In deren Zentrum steht nicht mehr der Mensch, sondern Gaia, der Superorganismus des Lebens. Daher realisieren wir dieses Projekt unplugged - ohne Strom. In den Ausstellungsräumen leben wir mit dem natürlichen Licht.
Warum ist das so wichtig?
Der Verzicht auf Strom unterbricht viele Routinen. Das war ein unglaublicher Augenöffner. Es hat uns in Prozesse verwickelt, die unvorhersehbar waren.
Der überraschendste?
War der lange Kampf um die Abschaltung der Klimaanlage. Unser Ausstellungshaus besitzt ja keine Sammlung. Wir sind darauf angewiesen, dass andere Häuser uns ihre Werke leihen - und die Versicherungen sie versichern. Vertrauen ist für uns ein essenzielles Gut. Wir hatten mit allen Leihgebern von «Down to Earth» die Verträge verhandelt, dass wir keine Klimaanlage brauchen, weil wir dieses spezielle Experiment durchführen. Aber wegen Corona ist die Ausstellung von Otobong Nkanga im ersten Stock in unsere Ausstellungszeit gerutscht, und für diese Verhandlungen gab es am Ende zu wenig Zeit. Weil die Klimaanlage die Etagen nicht entkoppeln kann, können wir sie also im Erdgeschoss nicht abstellen.
Sie haben den Kampf verloren?
Nur eine Runde. Wir wollen nun, wenn das Haus das nächste Mal leer steht, Probeabschaltungen machen, um die Effekte zu messen. Bislang klimatisieren wir ja auch das völlig leere Haus, denn es geht um die so genannte Flatline, deren Konstanz wir Leihgebern für das ganze Jahr vorzeigen müssen. Die Flatline schwankt nicht, aber vor ihr zittern alle. 20 Grad Celsius, 50 Prozent Luftfeuchtigkeit, kontinuierlich das ganze Jahr - nur so bekommen Sie Leihgaben. Wenn Sie in den Keller gehen und sich die riesigen Tauchsieder ansehen, die die Luftfeuchtigkeit erzeugen, verstehen Sie, wo die Energie bleibt.
Seit wann ist das so?
Die Flatline ist kein Naturgesetzt. Im Gropius Bau hat man noch in den Siebzigern und Achtzigern in Ausstellungen die Fenster aufgemacht und Luft hereingelassen.
Wäre das Ihre Empfehlung? Fenster auf in Ausstellungen?
Lustige Idee, aber nein. Wir machen eine Ausstellung, bei der es zentral um diese Trennung geht, der Gegenüberstellung von Natur draußen und Kultur drinnen. Aber wir sind nicht weltfremd. Archäologische oder ethnologische Artefakte unterliegen konservatorischen Bedingungen, das gilt auch für zeitgenössische Arbeiten. Wir sind keine Vandalen, aber leere Ausstellungsgebäude zu klimatisieren ist eben auch eine Form von Vandalismus. Kaum ein Sammler hat zuhause immer 20 Grad Raumtemperatur und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit. Durch die Kunstmarktpreise und die unwahrscheinlichen Versicherungssummen sind diese Koordinaten zu Standards geworden. Das machen wir deutlich.
Was bedeutet der Stromverzicht für die Künstler?
Im Life-Art-Bereich haben alle Künstler für uns unplugged Varianten erarbeitet. Da die Berliner Choreografien Claire Vivianne Sobottke sonst ihr Laptop verwendet, um Musik einzuspielen, haben wir es ermöglicht, dass die Komposition mit acht Musikern analog gespielt wird. Francois Chaignaud zeigt eine Aufführung, die durch das musikalische Werk von Hildegard von Bingen inspiriert wurde. Normalerweise dauert sie zwei Stunden. Für uns gliedert er jetzt in drei kürzere Stücke, ohne Mikro und Scheinwerfen.
Der Untertitel zu «Down To Earth» lautet «Klima, Kunst, Diskurs unplugged», es gibt Tanz, Theater, eine autonome Akademie, Vorträge zu indigenem Wissen, Experten sprechen über Meerwasserentsalzungsanlagen auf Hausdächern.
Warum gehört «Down To Earth» in den Gropius Bau und nicht, sagen wir, in ein Theater? Wegen der Ausstellung. Wir zeigen 2000 Quadratmeter Kunst. Die Basis ist ein großes Kunstprojekt mit Werken von Agnes Denis, Tino Sehgal über Yngve Holen oder Kirsten Pieroth. Nur fügt sich das zu einem zeitbasierten System, an dem während der vier Wochen etwa 200 Experten, Praktiker, Aufführungskünstler und das Publikum mitwirken.
Sie können am Ende sogar eine Tüte Erde mitnehmen.
Das ist ein Projekt des amerikanischen Künstlers Asad Raza, gemeinsam mit zwei Kultivators, die in einem Raum verbrauchter Erde wieder fruchtbar macht. Normalerweise wird ja Erde, die in einem Museum zu sehen ist, drei Tage lang erhitzt, bis alles Leben tot ist. «Down to Earth» ist ja der Titel eines Buches des Wissenschaftsphilosophen Bruno Latour, das mich vor zwei Jahren sehr beeindruckt und das alles in Gang gesetzt hat. Latour wird auch unser Gast sein und Lectures geben. Er hat mir die Augen geöffnet für unsere institutionelle Praxis einer quasi kolonialen Trennung, wenn wir Kirchenfenster ohne Kirchen zeigen oder Skulpturen aus Afrika, die nie als Ausstellungsobjekte gedacht waren, sondern leben.
Das Objekt - ein Auslaufmodell?
Der Gedanke der «Objektivität» wäre Indigenen ohnehin eher fremd. Viele von ihnen leben zum Glück noch in einer Kosmologie der Einbettung, der Verbindung und Fülle. «Down To Earth» ist die sechste Ausstellung in der Reihe «Immersion», die jedes Mal der Versuch ist, große Ökologien zu schaffen. Ich liebe Ausstellungen, die die Würde des Werkes feiern, daran ist nichts falsch. Aber ich liebe eben auch Künstler, die Beziehungsräume bauen, die das Wichtige unwichtig machen, die nicht auf Isolation, Trennung und Alleinstellung beruhen, sondern Systeme schaffen.
In der Ecke eines Raumes ist eine Spinne zu sehen. Werk oder Künstlerin?
Mitbewohnerin. Sie lebt seit acht Monaten mit uns. Und der argentinische Künstler Tomas Saraceno, der viel mit Spinnen arbeitet, hat sie in diesem Fensterwinkel entdeckt. Jetzt ist sie ein Hausgast mit eigenem Recht. Wir betrachten das Netz als Kunstwerk, wenn auch als das einer anderen Spezies.
Wie wappnen Sie sich gegen Corona?
Wir haben ein detailliertes Hygienekonzept. Der Reinigungsdienst wischt fünf Mal am Tag die Klinken ab, wir haben die Sicherheitsabstände, man bekommt bei uns Masken. Wir haben Maximalbelegungen für Räume.Corona hat die Klimasorgen vorübergehend in den Hintergrund gedrängt. Der Himmel war so schön blau, die Pandemie wichtiger als der CO2-Ausstoß.
Unser Selbstzerstörungsmechanismus, wie Arundhati Roy es genannt hat, stand kurz still, das war schön. Aber wie weiter? Andererseitswirkt Corona wie ein Entwicklerbad, leider auch für die destruktive Kultur der Angst, der Entdemokratisierungsprozesse, dem Horror sozialer Entwicherung, der Fakenews und des Populismus. Das hat eine offene Wette erzeugt: Der Wunsch nach Wandel gegen «Jetzt erst recht».
«Down to Earth» und Interview mit Sonja Zekri