«Schläfer im Schafspelz»
Über «The shape of things» von Neil LaBute
von Thomas Oberender
Wie schleicht sich die Lüge ins Leben und wie läßt sich mit ihr leben? Diese Frage könnte man allen Stücken Neil LaButes voranstellen, auch seinem jüngsten Werk The shape of things. Adam verliebt sich in Evelyn und, wie Climie Fisher sang - love changes everything: Adam fängt an, sich bewußter zu ernähren, seinen Körper zu trainieren, er läßt sich die Haare schneiden und hört auf, an seinen Nägel zu kauen. Evelyn treibt es mit ihm auf der Herrentoilette beim Schönheitschirurgen, während Adam auf seine Nasenkorrektur wartet und zu Hause filmen sie sich beim Sex - sein Leben verwandelt sich in einen dieser wunderbaren Collegefilme und plötzlich ist Adam selbst einer dieser smarten Jungs. Phillip und Jenny, seine alten Freunde, beobachten Adams Verwandlung mit Staunen und Bewunderung und irgendwann ist auch zwischen ihnen ist nichts mehr wie früher. «Da ist nie was, bis was draus wird», sagt Evelyn einmal und benennt damit das Thema dieser Adam und Eva – Geschichte, die mit der Vertreibung aus dem Paradies endet, nachdem diesmal Adam in den sauren Apfel der Erkenntnis gebissen hat.
Neil La Bute schreibt Kino für die Bühne. Sein Stück The shape of things, das zum besten amerikanischen Stück der letzten zehn Jahre gekürt wurde, hat er gerade selbst verfilmt, nachdem er es im 2001 in London zur Uraufführung brachte. La Butes vorheriges Stück hieß in der ersten Fassung Bash: A remembrance of hatred and longing, später nannte er es Bash: A gaggle of saints, bevor er auch diesen Text unter dem Titel bash: latterday plays verfilmte, ähnlich wie your friends and neighbors (oder: Sechs Figuren suchen nach einem Sexleben), einen Film, den er 1998 nach der Vorlage seines Bühnenstücks lepers drehte. Seine Filme In the company of man oder Nurse Betty machten Neil LaBute mindestens so bekannt wie seine Stücke – auch in diesem Punkt erinnert sein Werk an die Arbeiten von David Mamet. Seine Stücke besitzen die strukturelle Intelligenz stringenter Plots, deren raffinierte Einfachheit immer für mehr steht als die erzählte Geschichte. Die Erzählform ist demokratisch - es gibt keine Schwelle, über die nur kunsttrainierte Kenner Zugang finden, im Gegenteil, das Erschreckende dieser Stücke ist ihre völlige Evidenz, das Einleuchtende des Unmißverständlichen, was zugleich auch ihre größte Gefährdung als Kunstwerke beschreibt.
Der Originaltitel the shape of things trifft das Thema des neuen Stückes genauer als die deutsche Übersetzung Das Maß der Dinge, denn es ist ein metaphorisches Stück über unsere Liebe zur perfekten Oberfläche. Man muß inzwischen relativ weit reisen, um Menschen aus und in der Mitte der Gesellschaft zu treffen, die Zahnlücken haben, männliche Koteletten oder weibliches Achselhaar. Das Stück zeigt fast nebenbei, wie geformt und vereinheitlicht vom Schönheitsideal wir sind. Neil LaBute’s Helden reizt die Optimierung des Selbst und jeder, der Adam Sorenson im Leben treffen würde, käme sicher zu dem Schluß, dass er sich gut entwickelt hat - zum Besseren eben.
Nach der Mythenparaphrase in bash überträgt LaBute in the shape of things diesmal die Pygmalion-Geschichte aus Ovids Metamorphosen in ein zeitgenössisches Geschehen: «Was läuft hier eigentlich für ein ‘Metamorphosen’-Ding?», wird Adam von seinem alten Freund Phillip gefragt, als diesem die Generalüberholung seines Freundes langsam unheimlich wird. «Du bist ja wie Frankenstein…», fügt Phillip noch an, worauf Adam antwortet: «Du meinst, Frankensteins Monster. Frankenstein war der Doktor.» In dieser feinen Nuance zeigt LaBute das Drama seiner Figuren: Adams Wahrheit liegt in der Mitte zwischen der Verwandlung in ein Monster und der Verwandlung in dessen Schöpfer. Was Frankenstein einst mit einem anderen getan hat, ist heute die Arbeit an sich selbst. Doch während es bei Ovid der Bildhauer sich in seine vollkommene Skulptur verliebt und diese zum Leben erweckt, ist es bei LaBute genau umgekehrt - der natürliche Junge verliebt sich in eine Künstlerin und wird dadurch zur Skulptur.
The shape of things schreibt einen antiken Mythos fort, dessen literarische Renaissance zu Beginn der Moderne einsetzte. Von Rousseau über Jean Paul, Goethe, Balzac, Zola, Adalbert Stifter bis hin zu George Bernhard Shaw und Georg Kaiser kreist die Wiedererinnerungen dieses Mythos immer wieder um jene merkwürdige Verwandlung von Natur in Kultur und markiert damit eine veränderte Wahrnehmung des menschlichen Selbt und der Geschlechterdifferenz: Bei Ovid war es das männliche Schöpfer-Ich, der Künstler, der seinesgleichen als das «andere» erschafft, nämlich die Frau. Bei Neil LaBute hingegen läuft dieser Vorgang unter umgekehrten Vorzeichen ab. Doch im Kern geht es noch immer um das Wunder der Verwandlung, das Materie zu «animieren» vermag. Der faszinierende Kurzschluß, den Neil LaBute in seinem Stück herstellt, liegt in dieser Verkoppelung von «Liebe» mit «Animation». Hier tritt sowohl das Schmerzliche des Vorgangs wie auch seine allgemeiner Charakter zutage: Die Animation, also der eher kalte, technische Vorgang einer Verwandlung ersetzt bei LaBute die verwandelnden Kraft der Liebe. Und siehe da – dieser manipulative, technische Vorgang der Beseelung oder Verlebendigung führt zu den gleichen Ergebnissen wie die Naturgewalt der Liebe. Durch diese «Animation» und Verführung zum Besseren verwandeln sich Menschen und soziale Gebilde in «Plastiken», nicht nur in dem Sinne, daß sie ein Werk darstellen, sondern auch jenem Sinne, dass sich ihr Leben und Leib in das warenförmige Material gleichen Namens verwandelt.
Manohla Dargis schrieb über LaButes Texte: «Was es so schwierig macht, LaButes Arbeit zu mögen, ist, daß genau das, was einen faszinieren kann auch das ist, was einen abstoßen kann. Ich mag LaButes Arbeit, aber es gefällt mir nicht immer, daß ich sie mag.» LaButes Bühnenkino macht den Zuschauer zum mitfühlenden Komplizen von Figuren, deren Leben man spätestens zur Halbzeit der Geschichte niemals teilen möchte. Die Dramaturgie seiner Texte ist die der Horrorfilme oder scary movies: Das Entsetzliche wird gerade dort inszeniert, wo der Zuschauer sich am wenigsten bedroht fühlt - unter Freunden, in der Teenagerclique, unter Menschen wie du und ich. Und je menschlicher sie uns nahekommen, um so grausamer wird ihnen mitgespielt. Neil LaBute sagt: «Man muß grausam sein, um gut zu sein.»
Daß er als Horrorspezialist den Verlustformen des Guten nachspürt, macht ihn einem regiden Moralisten: «In den Theaterstücken, die ich geschrieben habe, interessiere ich mich nicht nur für die Idee der Sünde, sondern der Schuld, und dafür, womit Menschen ungestraft davonkommen können. Sind sie mit einer Tat davongekommen, nur weil niemand etwas davon weiß?»
LaBute zeigt in seinen Texten Figuren, die wie jene «Schläfer», die später zu terroristischen Tätern werden, eine perfekte Anpassungsleistung an die kulturellen Techniken und Formen Amerikas vollbringen, um im Schutze dieser Mimikry zum nächsten Schlag auszuholen. Mit der Adam und Eva-Geschichte von »the shape of things» erzählt er die Geschichte vom Ende der Unschuld neu. In der Mitte des Dramas widerfährt Adam eine zweite Liebesgeschichte, eine, die ihn nicht animiert, der er nicht folgt. An diesem Punkt hätte alles anders werden können. Evelyns Gewalt über Adam ist die von ALL ABOUT EVE, von ELLE, von FHM und WHAT ABOUT ADAM. Als bekennender Mormone und Vater von zwei Kindern sind LaButes Arbeiten, die so offensichtlich den gesellschaftlichen Skandal suchen und brauchen, gewordene Angriffe auf die amerikanische Fiktion der Wirklichkeit, welche auf einem Realismusverständnis beruht, das der Autor sozusagen kidnapt und damit gegen diese Realität ins Felde zieht. Die ersten beiden Bühneninszenierungen des Regisseurs La Bute, noch zu Studentenzeiten, waren Aufführungen von Woyzeck und Dracula. Vielleicht zieht sich die Spur dieser Texte als Mixtur zweier Grunderfahrungen noch immer durch die Arbeiten des Dramatikers La Bute.