«Gelebte Frivolität»

Zum Verhältnis von Demokratie und Theater
von Thomas Oberender

 

 

Warum erfährt ein letztlich demokratiefernes, im alltäglichen Prozess der Proben und Verwaltung eher aufgeklärt feudalistisches Phänomen wie das Stadttheatersystem ausgerechnet im deutschsprachigen Raum eine so hohe, weltweit vergleichslose staatlichen Förderung? Warum sind die Demokratien im deutschsprachigen Raum derart theateraffin? Vielleicht resultiert dies aus einem historisch spezifischen Geburtsmal dieser Demokratien, die sich selbst hochgradig fiktiv erscheinen. Und vielleicht spielen Strukturähnlichkeiten zwischen demokratischer Politik und der Funktionsweise des Stadt- und Staatstheatersystems eine entscheidende Rolle.

Theatergeschichtlich betrachtet war die darstellende Kunst wiederholt der vorauseilende Agent mentalitätsformatierender Prozesse, die auf die Durchsetzung demokratischer Werte wie bürgerliche Freiheit, Mitbestimmung und individuelle Würde, oder, späterhin eines Rechts auf Disziplinlosigkeit, Eigensinn, Scheitern und Solidarität mit den Marginalisierten angelegt sind. Das Theater ist gesellschaftlich engagiert und dies oft auch jenseits der argumentativen Polemik, allein durch das Beispiel seiner ästhetischen Eigengesetzlichkeit, die ergänzende Erfahrungen bereithält oder bewahrt. Theateraufführungen sind zwar beeinflusst vom Zustand der Demokratie, die sie hervorbringt, und doch ist die Produktion und Wahrnehmung von Kunst selbst allem Anschein nach nicht zu demokratisieren. Die unmittelbare Erfahrung des Theateralltags hat mit Demokratie wenig gemein: Wo immer sich eine Gruppe von Menschen mit der Erzeugung glaubhafter, durch ihr Spiel geschaffener Welten beschäftigt, bilden sich Graviationsfelder um Einzelne. Selbst die freiesten Gruppen besitzen ein charismatischen Zentralgestirn, das ihre Bahnen lenkt, ihre Konflikte kanalisiert und sein eigenes Gesetz erlässt, wobei es sich der direkten Mitbestimmung, des unmittelbaren Anspruchs auf Information und Teilhabe entzieht. Und zwar genau so, wie sich auch jedes Kunstwerk unserer Einmischung entzieht und lediglich zur Deutung auffordert.