«Immersion is not a warm bath».
Das Regime der Schrift im Werk von Ed Atkins.
Von Thomas Oberender
[figure Atkins_Bregenz_01]
Die horizontalen Vielfalt der von Ed Atkins bespielten Medien zwischen Performance, Literatur, Environment und Film machen ihn zu einer Ausnahmeerscheinung in der zeitgenössischen Kunstwelt. Schrift und Schreiben sind die zentrale Kategorien seiner künstlerischen Produktion, denn Atkins Arbeiten beruhen zu weiten Teilen auf Texten im tatsächlichen und erweiterten Sinne. Er ist der Autor von dichten Prosatexten, Essays und Theaterstücken, doch er «schreibt» auch das Verhalten seiner CGI-basierten Figuren, er erschafft sie und ihre Welt durch das Schreiben der Skripte mit der dafür nötigen Software. Seine Filme sind zwar nicht narrativ im Sinne des Hollywoodfilms, aber via Tastatur entstanden und an ein Skript gebunden. Geskripted sind zudem auch Atkins Ausstellungskonzepte, die stets Rauminstallationen schaffen, deren inneres Timing oft durch musikalische Kompositionen synchronisiert wird und die im Falle von Old Food bewusst vom Wandel der Tageslichtverhältnisse beeinflusst sind. So bewirkt das zeitbasierte Skript dieser Ausstellung die Verschaltung einzelner Werkelemente zu Wirkungsketten und lässt die Ausstellung in seiner Gänze als einen Organismus wirken. Schrift ist der «Quellcode» seiner Figuren und ist in seinen Filmen als gesprochener Text zu hören und zu lesen. In Atkins’ konzeptionellen Wandtexten setzt sich sein vielseitiger Umgang mit Text fort, da sie bei Old Food als integraler Teil des Kunstwerks von einem anonymen Autorenkollektiv verfasst wurden. Seine Ausstellungen machen also auf verschiedensten Ebenen eine Handhabung von Sprache erfahrbar, die einerseits – im Sound der Worte und des Sprechakts – eine unmittelbare und körperhafte Sinnlichkeit kreiert, sich in besonders in Atkins Performances aber zugleich als abstraktes Muster offenbart, ganz so, als führte die Sprache eine eigene, körperlose Existenz, die seine Figuren genauso bewohnt wie die geskriptete soiale Realität von Flughäfen, Bahnhöfen oder Massenmedien.
Wer spricht? Der Titel von Atkins’ 2015 im Stedelijk Museum gezeigter Ausstellung Recent Ouija bezieht sich auf ein seltsames Schreibutensil – ein Ouija, das auch Witchboard oder Seelenschreiber genannt wird, mit dessen Hilfe in spiritistischen Séancen paranormale Botschaften von Geistern empfangen und als Text ausgegeben werden sollen. Das Wort Ouija wirkt lautmalerisch durch seine Vokale und ist das Kompositum des Wortes «ja» – einmal in der französischen Form, zum anderen in der deutschen. Atkins’ Titel evoziert, dass unser Ausgabemedium der Sprache heute nicht mehr jenes alte Holzbrett mit seinem Buchstabenzeiger ist, sondern aktuellere «Empfangsstationen» der Geister existieren. So lassen sich Atkins’ Avatare als Medien verstehen, deren Rede die Stimme einer anderen Existenz birgt. Der Vorgang, dass der Künstler vor einer Kamera am Computer sitzt, die seine Bewegungen und Stimme aufzeichnet und in die Maske eines digitalen Wesens einspeist, lässt sich dabei auch metaphorisch lesen. Vieles spricht dafür, dass sich für Atkins unsere gesamte Umgebung zu einem solchen Geisterboard entwickelt hat.
Statt über ein Ouija-Brett sprechen heute Bahnhofshallen und Smartphones, Ticketautomaten und die Displays der Servicesysteme. In diese geisterhaft animierte Umwelt platziert Atkins seine Helden, die ihrerseits von disruptiven Gedanken und Gefühlen bewohnt zu sein scheinen. Oft wirken sie, als führe ein Handpuppenspieler in sie fahren und triebe ein seltsames Spiel mit ihnen: Ihr Körper wird malträtiert und zerfällt in dennoch weiter singende Einzelteile, empfindet aber keinen Schmerz, wenn ihm wie einem Maschinenwesen einzelne Funktionen versagen.
Das alte Witchboard zeigt, dass sich Sprache über unsere Köpfe hinweg manifestiert und sich durch unsere Leiber bewegt wie Atem. Sprache ist der Äther des Geistes, niemand kann sie besitzen, Kaspar Hauser konnte sie nicht aus sich heraus entwickeln, nicht für sich behalten – sie spricht im Kopf wie ein autonomes, dynamisches Regime. Einmal literarisiert können wir, da wir die Buchstaben des Alphabets gelernt haben, nie mehr nicht lesen, wenn wir sie sehen. Literalität ist, das haben die frühen Studien zum Unterschied zwischen oralen und Schriftkulturen von Jack Goody und Eric A. Havelock gezeigt, eine unsere Denkweise domestizierende und völlig neu formatierende Kulturtechnik, und wir fragen uns heute, von welch tiefgreifendem Einfluss die digitale Technologie und die Macht ihrer Bilder und feedbackbasierten Situationen auf unser Denken und Weltsortieren ist.
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