22. Mai 2016
Beitrag auf Anfrage von Vasco Boenisch für das Magazin und Onlineportal der Ruhrtriennale; als Kommentar zum Spielzeitmotto des Festivals 2016 «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit»
«Gleichheit ist nicht das Ziel der Politik, sondern ihre Voraussetzung. «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit» – wie viel Unfreiheit, Ungleichheit und Nächstenferne hat diese Formel hervorgebracht, wenn sie ein Ziel beschrieb. Und wurde sie nicht die Formel eines verheerenden Weltkriegs europäischer Werte gegen den Rest der Erde? Mich, in Ostdeutschland geboren, hat der Fall der Mauer 1989 nicht befreit. Ich sehe neue Mauern an den Grenzen Europas. Der Kolonialismus des alten Kontinents ist subtiler und wirkungsvoller denn je, da er nun auch noch die Regeln des Dekolonialismus vorgibt. Wir brauchen ein Denken ohne das «innen» und «außen», das Schema von «die» und «wir». Die Zeit der Bipolarität ist vorbei. Brüderlichkeit mit den Tieren; eine radikale Gleichsetzung von Allem mit Allem; Freiheit den Systemen! Wir erleben das Entstehen eines Europas der Abschottung und Ausgrenzung und angesichts dessen geht es heute um eine andere Aufteilung des Sinnlichen, der Hierarchien der sozialen Ordnung, der Zuordnung der Plätze, Räume und Lebensrhythmen. Ich will, mit Jaques Rancierre gesprochen, von unwissenden Lehrmeistern lernen, die Emanzipation fördern, den Armen helfen. Denn die neue Praxis der Emanzipation entsteht heute im gleichen Atemzug wie die neuen Rechten. Nichts ist daher interessanter und dringlicher als der Anteil der Anteillosen, Sprachlosen, Unsichtbaren an der Mikropolitik der Kunst. «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit» – wo und wie ist das der Ausgangspunkt? Wenn diese Formel nur das Ziel beschreibt, hatten wir schon eine Revolution zu viel.»