«Messianismus und Revolution» (Auszug)

Die Idee und Praxis des «totalen Theaters», von der Julian Becks Buch erzählt, ist bei ihm unlösbar verbunden mit der Praxis der friedlichen Revolution. Und wenn ich darüber nachdenke, so fallen mir, neben Milo Rau, von dem das Nachwort zu dieser deutschen Erstübersetzung von The Life of the Theatre stammt, dem Peng! Kollektiv oder dem Zentrum für Politische Schönheit kaum zeitgenössische Performancekünstlerinnen und -künstler ein, deren Kunst zugleich auf einen Zustandswandel «draußen» zielt. Christoph Schlingensief war wie Julian Beck ein Künstler, der aus dem Theater ausgezogen und wieder in das Theater zurückgekehrt ist, um dort eine selbstbezügliche Kunst hinter sich zu lassen und eine soziale Situation zu erschaffen, in der die Magie der Kunst verwandelnd wirken kann.

Dass die Ideen und Praktiken der friedlichen Revolution von 1989 wirklich revolutionär waren, ist mir erst Jahrzehnte nach ihrem Ende bewusst geworden. Als ich Julian Becks The Life of the Theatre gelesen habe, fühlte ich mich an die Monate eines gesamtgesellschaftlichen Lächelns in Deutschland erinnert – ein gutes halbes Jahr, bevor die Mauer geöffnet wurde, und ungefähr ein halbes Jahr danach war alles veränderbar, stand im Ostteil des Landes alles zur Disposition und wurde der Kampf auf den Straßen, in den neu gegründeten Parteien, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, Zeitungen und dem erstmals wieder frei gewählten Parlament belohnt. Unabhängig von der Arbeit des Living Theatre wirkt dieses Buch auf mich als ein eigener Kosmos der Veränderungsideen und des Aufbruchs in etwas Positives – seine Gedanken und Konzepte erzeugen noch heute ein freundliches Vorwärts, das wir in Ostdeutschland ungefähr zwanzig Jahre nach dem Ende dieser Aufzeichnungen tatsächlich im Alltag erlebt haben.