«Floating Exhibition»

Über die TWIN ZONE von Markus Selg

Von Thomas Oberender

Galerieräume sind in der Regel neutral in ihrer Erscheinung und schaffen um ihre Exponate eine Zone der Ruhe. Auch die Galerie Guido W. Baudach in Berlin ist ein solcher White Cube, doch in Markus Selgs Ausstellung TWIN ZONE löst sich die Bannmeile um die Werke ebenso auf wie die geschlossene Box des Ausstellungsraumes selbst. Gezeigt werden eine Reihe von Werkpaaren, bei denen der physischen Manifestation der Arbeiten zugleich ihre virtuelle Erscheinung zur Seite gestellt ist. Auch die Galerie selbst verdoppelt sich und erscheint zusätzlich zu den realen Räumlichkeiten in einer von Selg gestalteten virtuellen 3D-Variante. Über eine Augmented Reality Experience App verbinden sich die Ausstellungsräume an der Potsdamer Straße in Berlin so mit einer artifiziellen Topografie und die BesucherInnen betreten einen Ort, der unversehens selbst zum Exponat wird.

TWIN ZONE ist der seltene Fall einer Ausstellung einer Ausstellung. Tatsächlich geschieht dies nur in Ausnahmefällen, etwa bei der Rekonstruktion historischer Ausstellungen, denn in der Regel versteht sich die Galerie oder das Museum als eine Art Display, das alles Mögliche zeigt, sich selbst aber aus dem Spiel hält. Ausstellungen werden immer wieder neu bestückt und bespielt, aber die Aura des Grundraums ist in der Regel diskret. Er nimmt sich zurück, hält das «draußen» fern und lenkt den Fokus auf die ausgestellten Werke und ihr Publikum. Es ist ein bisschen wie am Theater, nur dass dort die Box schwarz ist und die Menschen sie von außen betrachten, statt in ihr umherzulaufen.

Auf den ersten Blick wirkt TWIN ZONE wie eine traditionelle Ausstellung großformatiger Computerdrucke und Skulpturen. Doch dank der Augmented Reality App, die Markus Selg für dieses Projekt entwickelt hat, sind in der Galerie auch die virtuellen Zwillingsobjekte dieser Plastiken und Gemälde sowie früherer, materiell nicht anwesender Werke, wie z.B. Teerhof aus dem Jahr 1999 zu erleben. Unversehens tauchen sie auf den Smartphone-Displays des Publikums auf, schweben sanft durch den Raum oder erscheinen als zusätzliche Exponate an den Wänden.

Die Präsenz von digitalen Kunstwerken in Galerien oder im urbanen Raum ist heute nichts Ungewöhnliches, doch das Konzept der Ausstellung TWIN ZONE setzt einen anderen Akzent. Es bringt dinghafte Kunstwerke in eine direkte Beziehung zu ihren virtuellen Derivaten und schafft dafür einen porösen, die beiden Realitätsebenen verbindenden Raum. Als Besucher oder Besucherin der Galerie kann man wählen, welchen Pfad der Manifestation eines Werkes man folgen möchte.

Auf der Werkliste der Ausstellung steht die AR-App TWIN ZONE als eigenständige Arbeit, und tatsächlich ist sie nicht nur das titelgebende Werk, sondern auch die bündigste Formulierung des Konzepts. Es geht in diesen Räumen um die geschwisterliche Beziehung von virtuellen und realen Objekten. Sie entstammen keiner gegensätzlichen Sphäre, sondern die Ausstellung schafft und zeigt einen Raum ihrer beziehungsreichen Koexistenz. Zugleich geht der Ansatz des Künstlers einen Schritt weiter, indem auch die physischen Objekte der Ausstellung letztlich als Emanationen generischer Strukturen, als Produkte von Codes und deren Mutation und Assemblage erscheinen. Selgs Bodenskulpturen und Wandbilder zeigen pflanzliche und biomorphe Texturen, spielen mit den Mustern von Kristallen und geologischen Formationen, menschengemachten Ornamenten und Zeichen, Graffitos und den Rastern von Schaltplänen. Diese biomorphen und technoiden Texturen überziehen die dinghaften Werke der Ausstellung genauso wie die virtuellen Objekte.

Egal ob Ding oder Bild, die Objekte führen zu Abbildungen und digitale Bilder führen zu Daten, die wiederum zu digitalen und plastischen Objekten führen, die wieder abgebildet, gesampelt und geteilt werden, usw. ad infinitum. Die Übergänge zwischen dinghaftem Objekt und imaginärem Objekt sind fließend und diesem Flow folgt und dient Selgs zentrales Werk und der gesamte Raum der Ausstellung.