«Es ist auch viel Arbeit, etwas nicht zu machen»
Herr Dr. Oberender, müssen Sie jetzt die Berliner Festspiele auf Zeit abwickeln?
Abgewickelt wird gar nichts, weil alle Mitarbeiter langfristig sicher weiterarbeiten, aber wie viele andere Einrichtungen haben wir ab Montag angeordnet, dass alle bie uns Beschäftigten zu Hause bleiben, ausgenommen nur die für den Notbetrieb absolut unentbehrlichen Personen. Wenn der Zustand andauert, werden wir u.U. in Kurzarbeit gehen. Einzelne Veranstaltungen wie die «Märzmusik» und unsere internationalen Tanzgastspiele wurden abgesagt. Festivals wie «Märzmusik» haben unglaublich lange Planungsvorläufe und es gibt Verabredungen gegenüber Künstlern und Dienstleistern, die wir jetzt nicht erfüllen können.
Wie wird denn die Arbeit ihres Teams während dieser erzwungenen Veranstaltungspause aussehen? Wie müssen wir uns den Arbeitsalltag vorstellen?
Wir haben wie gesagt Heimarbeit angeordnet. Das bedeutet, dass es auch Backstage leer sein wird im Festspielhaus. Viele Mitarbeiter sind jetzt angehalten, Resturlaub zu nehmen und Überstunden abzubauen.
Es ist blöderweise auch viel Arbeit, etwas nicht zu machen. Bei einigen Festivals ist man jetzt extrem damit beschäftigt, zügig die nötigen Absagen zu machen und beginnt, die damit verbundenen Verhandlungen zu führen. Größtenteils können wir das im Homeoffice realisieren. Wir müssen auch mit Geldgebern und Stiftern sprechen – das ist alles sehr kompliziert.
Was geschieht jetzt konkret mit der «Maerzmusik»? Können da vielleicht einige Veranstaltungen noch nachgeholt werden?
Nein, das wird komplett abgesagt. Es hat für uns keinen Sinn, so ein Festival zu filetieren. Das würde auch nur zur Verwirrung bei unseren Besuchern führen, die nicht mehr wissen, was stattfindet und nicht. Und letztlich geht es ja um das Risiko für unsere Gäste und Beschäftigten - daher die Entscheidung, lieber gar nichts zu machen, wie das ja auch in den anderen großen Häusern und Konzertsälen der Fall ist.
Ganz banal gefragt: Wer bezahlt denn das alles?
Im Moment wir. Die Festivals sind ja budgetiert. Ein paar Dinge werden wir abwenden können. Wenn wir es mit genügend Vorlauf mitteilen, dann können wir bestimmte Firmen eben nicht engagieren. Aber was uns fehlen wird, sind die Einnahmen. Das ist natürlich schmerzvoll und wir werden sehen, wie wir damit umgehen. Schmerzvoll ist es aber auch, weil wir mit unseren Festivals ja auch bestimmte Aussagen und Konzepte verbinden, die nun einfach im Kopf und auf dem Papier bleiben. So ein unfreiwilliges Selbstgespräch ist sehr deprimierend. Auch für die Künstler, denen es ja auch nicht nur ums Geld geht.
Was ist mit den Künstlern – bekommen die ein Ausfallhonorar?
Ja. Mit allen, mit denen wir Verträge haben, werden wir entsprechend dieser Verträge umgehen.
Vor einigen Tagen hat James Blunt ein Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie vor leeren Rängen gegeben. Das wurde dann im Internet übertragen. Ist es denkbar, dass man sich alternative Aufführungsmodelle zum Beispiel im Internet überlegt, wenn der gegenwärtige Zustand länger anhalten sollte?
Solche Streaming-Übertragungen haben wir, wie viele andere Institutionen, bereits gemacht, als es noch keine Krisenzeiten gab. Es ist spannend, ob das jetzt noch eine größere Wahrnehmung findet. Ich glaube ja nicht, dass wir Als staatlich gefördertes Kultursegment zu einer staatlichen Art Netflix werden, einfach nur streamen ist sicher zu wenig. Aktuell mussten wir so kurzfristig absagen dass wir bei »Märzmusik» keine Geisterkonzerte mehr ausrichten können. Wir sind kein Repertoire-Theater oder Konzerthaus, d.h. viele unserer internationalen Gäste reisen nicht an.
Nur wenige Kompanien sind bereits da, weil sie hier proben müssen. Z.B. einige indigene Musiker Lateinamerika, die der Kurator Berno Odo Polzer eingeladen hat und nun bei ganz anderen Problemen unterstützt, weil sie von ihren Heimatländern jetzt mit Einreisesperren belegt wurden, weil sie aus Deutschland kommen. Da ist unser ganzes Netzwerk und Management gefragt, um ihnen helfen können.
Die digitalen Spielmöglichkeiten, die jetzt als einzige Auswechplattformen bleiben, bleiben sicher interessant, weil sie sehr viel langfristigere Angebote schaffen - auch Jahre später werden unsere Veranstaltungen auf YouTube besucht. Wir hatten für diese Woche im Gropiusbau, der ja unsere zweite Spielstätte ist, eine große Ausstellungseröffnung mit Werken von Lee Mingwei geplant. Was machen wir jetzt da? Der ganze Lichthof ist mit einem riesigen, tollen Sandgemälde ausgefüllt - der Künstler ist da und arbeitet daran. Wir können von diesen Plänen nur sehr schwer loslassen und deshalb ist die jetzt beginnende Quarantänezeit ein sehr harter Schnitt. Wir werden sie nutzen, um Wege zu finden und je nach Schließungsdauer dann eben doch Angebote machen können, die digital sind oder am Himmel über der Stadt, ich scherze.
Wie gehen Sie jetzt weiter vor mit den Festivals, die in mittlerer Ferne liegen und für dieses Jahr noch geplant sind? Zum Beispiel mit dem Musikfest und dem Jazzfest. Denken Sie da bei den Planungen schon gleich ein Notfallszenario mit?
Musikfest und Jazzfest werden weiter geplant - wir orientieren uns an den offiziellen Maßgaben des Landes Berlin und den Erfahrungswerten aus China und Italien. Derzeit sieht es so aus, dass die Vorbereitungsarbeiten weitestgehend in Heimarbeit geschehen müssen, weil wir unsere Mitarbeiter schützen wollen. Zudem sind ja auch die Kitas und Schulen geschlossen – da entstehen Härtefälle in den Familien, auf die wir reagieren müssen.
Das mal alles bei Seite gelassen, ist unsere Hauptaufgabe das aktuelle Krisenmanagement bezüglich der geleisteten und anstehenden Absagen, der betrieblichen Ausnahmesituation und die Entwicklung mittelfristiger Szenarien. Denn wir haben auch noch ein paar Entscheidungen zu fällen – in Bezug auf das Theatertreffen zum Beispiel, und das Theatertreffen der Jugend Ende Mai. Beide Festivals werden von bundesweit sichtenden Jurys kuratiert und die können und sollen nun auch nicht mehr reisen. Also hört das Krisenmanagement so schnell nicht auf - auch diese großen Festivals werden sicher von diesen Entwicklungen nicht verschont bleiben. Und was in der kulturellen Landschaft dieses Jahr passiert, hat für in der Festivalszene des nächsten Jahres große Auswirkungen, einfach weil weniger Produktionen entstehen werden - an den großen Theatern genauso wie an den Schultheatern. Die Karten werden neu gemischt.
Wie ist langfristig mit den Einnahmenausfällen umzugehen? Sehen Sie Bund und/oder Berliner Senat jetzt in der Pflicht, einzuspringen und ein Nothilfepaket zu schnüren?
Staatsministerin Grütters, die für unsere Einrichtung ja zuständig ist, hat bereits angekündigt, um Hilfsprogramme in dieser schwierigen Lage zu kämpfen. Für Künstler und freie Ensembles ist diese Krise existenziell, denn ihnen bricht die Infrastruktur weg. Aber auch für Institutionen wie die Festspiele - wir haben so knappe Etats, dass wir, aus verschiedenen Gründen, keine Reserven bilden dürfen. Das heißt, wenn die Institution leidet, geht das zu lasten der Programme, also der Künstler, die weniger Aufträge bekommen. Diesen Kreislauf nicht nur in diesem, sondern vor allem im nächsten Jahr zu durchbrechen, ist jetzt die Aufgabe der Politik. Und wir werden den freien Künstler nach Kräften helfen, diese schwere Zeit zu überstehen, denn sie arbeiten ohne Netz.