Offener Brief: Was jetzt geschehen muss, um der Ukraine zu helfen
Russland hat einen Krieg gegen die Ukraine begonnen. Russische Luftangriffe und Panzergeschosse sind im ganzen Land zu hören – im Osten wie im Westen. Zivilisten werden getötet. Am Mittwoch wandte sich der Präsident der Ukraine direkt an das russische Volk. Volodymyr Selensky sagte: «Wir wollen unsere eigene Geschichte definieren und aufbauen. Friedlich. Ruhig. Ehrlich… Die Ukrainer wollen Frieden.»
Am Donnerstag, den 24. Februar, erklärte der russische Präsident Wladimir Putin den Beginn einer «besonderen Militäroperation»: einer vollständigen Landinvasion in der Ukraine, in einem souveränen europäischen Land. Die Ukrainer verteidigen sich. Die ukrainische Armee ist stark und schlagkräftig. Zehntausende von Zivilisten, Männer und Frauen, greifen mutig zu den Waffen, um ihre Städte zu verteidigen. In diesem Krieg geht es aber nicht nur um die Ukraine. Es geht um Europa, die Welt und unsere gemeinsame Zukunft. Die Ukrainer brauchen die globale Gemeinschaft, um einzugreifen und direkte Maßnahmen zu ergreifen, um den Krieg jetzt zu beenden.
Die bereits beschlossenen Sanktionen gegen Russland sind ein guter Anfang. Aber es sind noch mehr Maßnahmen nötig. Putin droht der Welt mit seinen Atomwaffen. Man darf ihm nicht gestatten, seine Aggression fortzusetzen. Wir, Künstlerinnen und Künstler aus Europa und der ganzen Welt, rufen die globale Gesellschaft zum Kampf auf gegen Putins Verbrechen in der Ukraine.
Zehn-Punkte-Plan
1. Internationale Gerichte müssen Putin verurteilen und Verfahren einleiten, um Putin für seine Kriegsverbrechen gegen die Ukraine zu verurteilen.
2. Länder, die der Ukraine dringende militärische Unterstützung gewähren, müssen sicherstellen, dass diese Hilfe taktisch klug eingesetzt wird. Benötigt werden etwa Panzer- und Flugabwehrwaffen, die schnell und effektiv eingesetzt werden können. Die Ukraine muss dabei unterstützt werden, die Waffen erfolgreich an die benötigten Orte zu transportieren.
3. Bankdaten und Informationen über die korrupten Besitztümer der politischen und wirtschaftlichen Eliten Russlands müssen dem russischen Volk offengelegt werden.
4. Nicht nur russische Fluggesellschaften, sondern auch Frachtschiffe und der Zugang zu europäischen und amerikanischen Häfen für russische Unternehmen sollten bis auf Weiteres blockiert werden.
5. Internationale Unternehmen mit Sitz in Russland müssen dazu verpflichtet werden, alle kommerziellen Geschäftsaktivitäten einzustellen.
6. Soziale Netzwerke müssen jegliche Kommunikation der russischen Regierung unterbinden.
7. Microsoft sollte jeglichen Zugang zu seinen Diensten in Russland verweigern. Westliche Cloud-Unternehmen sollten bis auf Weiteres jeglichen Zugang aus und in Russland blockieren.
8. Persönliche Sanktionen müssen nicht nur gegen russische Politiker und Oligarchen verhängt werden, sondern auch gegen die Führungsriege des Militärs, der Verwaltung und der Eliten. Ausländische Geldkonten von Russen sollten eingefroren werden.
9. Auf russisches Öl sollten Sanktionen von 10 Euro pro Barrel verhängt werden. Europa muss sich dringend und dauerhaft vom russischen Gas abwenden.
10. Es sollten Einfuhrzölle auf Agrarrohstoffe aus Russland erhoben werden. Exporte nach Russland von landwirtschaftlichen Produktionsmitteln (Düngemittel usw.) sollten verboten werden.
Dies ist die Liste der Sanktionen, die jetzt verhängt werden sollten. Diese Liste könnte dazu beitragen, den Krieg zu beenden oder zumindest die Situation zu deeskalieren. Wir rufen die Weltgemeinschaft auf, gegen den Krieg zu kämpfen.
Wir rufen zur Solidarität auf! Was jeder nun persönlich tun kann:
1. Fordern Sie von Ihrer Regierung die sofortige Verhängung dieser Sanktionen.
2. Verbreiten Sie diese oder andere relevante Informationen über Putins Verbrechen. Schweigen Sie nicht.
3. Verbreiten Sie keine Informationen, die von russischen Regierungsstellen, von Russland gesponserten oder Russland nahestehenden Quellen stammen. Das ist Desinformation.
4. Spenden Sie Geld an ukrainische Freiwilligenfonds. Zum Beispiel solche, die verwundeten Soldaten helfen.
5. Unterstützen Sie die russische Zivilgesellschaft und russische Bürger, die gegen den Krieg protestieren.
6. Werden Sie gegen diesen Krieg aktiv. Wo immer Sie können.
Dieser offene Brief wurde unterschrieben von:
Marina Abramović, Performance-Künstlerin (Serbien, Niederlande)
Michael Almereyda, Filmemacher (USA)
Vitali Alekseenok, Dirigent und künstlerischer Leiter des Münchner Universitätsorchesters (Ukraine)
Juliette Binoche, Schauspielerin (Frankreich)
Candice Breitz, Video- und Fotokünstlerin (Südafrika)
Daniel Cohn-Bendit (Frankreich, Deutschland)
Sara Driver, Filmemacherin und Schauspielerin (USA)
Jim Jarmusch, Filmemacher, Schauspieler, Drehbuchautor (USA)
Spike Jonze, Schauspieler, Filmemacher (USA)
Ilya Khrzhanovskiy, Filmemacher (Russland, Israel)
Jonathan Littell, Schriftsteller und Filmemacher (Frankreich, USA)
Oksana Lyniv, Dirigentin, Generalmusikdirektorin der Oper Bologna und künstlerische Leiterin des LvivMozArt Festivals (Ukraine)
Kleber Mendonça Filho, Filmemacher und Drehbuchautor (Brasilien)
David Michôd, Filmemacher und Drehbuchautor (Australien)
George Miller, Filmemacher und Drehbuchautor (Australien)
Marina Naprushkina, politische Künstlerin und Aktivistin (Belarus, Deutschland)
Thomas Oberender, Autor und Dramaturg (Deutschland)
Marlis Petersen, Sopranistin (Deutschland, Griechenland)
Lee Quiñones, Hip-Hop- und Graffiti-Künstler (Puerto Rico)
Lynne Ramsay, Filmemacherin, Drehbuchautorin, Schauspielerin (Großbritannien)
Milo Rau, Theaterregisseur (Schweiz)
Jochen Sandig, Kulturunternehmer und Gründer von vier Kultureinrichtungen (Deutschland)
Lucy Sante, Schriftstellerin, Kritikerin und Künstlerin (Belgien / USA)
Michael Stipe, Sänger, Gründer von REM (USA)
Tilda Swinton, Schauspielerin (Großbritannien)
Nassim Taleb, Essayist und mathematischer Statistiker (Libanon, USA)
Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen
BLZ/kuri, 8.3.2022