«Wo wir stehen»

Notizen zum Gegenwartstheater
von Thomas Oberender

 

 

Reine Heutigkeit ist so ungenießbar wie destilliertes Wasser. Wir suchen nach den Schichtungen innerhalb des Jetzt, den Keimspuren des Gegenwärtigen in den alten Texten und Erzählformen des Films oder der Musik. Unser mulitkultureller, im Zuge der neuen Technologien auch immer phantastischer werdende Alltag ist längst der Ausbruchsort von Lebensadern aus ganz anderen Regionen, Regionen auch des ganz Anderen. Gegen den Hype des immer schnelleren Heute setzen wir auf Recherche und Fährtensuche: Stücke aus Stücken, Helden als Wiedergänger. Für uns ist Botho Strauß ein Autor, der ein anderes Verständnis von «Gegenwart» entwicklelt, indem er unsere Zeit und unsere Errungenschaften betrachtet wie ein Romantiker, der wissen will, was daran zu seinem Herzen spricht und an welche Grenzen sein Verstand gelangt, wenn er sieht, wie wenig es dabei mit der Vernunft zu geht. Wir werden von so vielen geleitet, zeigt Strauß, das sich nicht zeigt außer im Versehen, Versprechen, im Traum, im Konflikt. Es sind die Mythen und Traditionen, die Sprachen der Gesellschaft und Milieus, die ein geheimes Regime bilden, das schon immer der Stoff des Theaters war.