«Finale des Übergangs»
Ein Flüchtlingsdrama aus der neuen Welt
Über «Hotel Orpheu» von Gabriel Gbadamosi
von Thomas Oberender
Gabriel Gbadamosi
Stücke aus Rußland, wie sie in den letzten Jahren von Alexej Schipenko, Vladimir Sorokin oder Elena Popowa geschrieben wurden, zeigen Menschen, deren Fühlen und Denken sich nach dem Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung sich spürbar radikalisiert hat, da ihre Lebenswelt entsichert und zur Überlebenswelt wird. Der Wegfall dämpfender Konventionen, die plötzliche Unsicherheit hinsichtlich des sozialen Status und der Machtverhältnisse lassen den Einzelnen die Reize und Kräfte der neuen Welt im Osten Europas plötzlich wie ohne Haut erleben. Es sind Trümmerstücke, Nach-Spiele einer imperialen Ära mit viel Ironie und wenig Trost, die da aus dem Osten kommen. Nun aber schrieb Gabriel Gbadamosis mit «Hotel Orpheu» ein solches Stück im äußersten Westen dieses Kontinents, in Portugal. Dort entstand es als Auftragswerk für das Lissaboner Nationaltheater, das die Uraufführung indes ablehnte – zu tief rührt dieses Werk des britischen Autors an eine nationale, postkoloniale Wunde.
Ein Schwarzer und ein Weißer sind die Helden in dem Stück eines Autors, dessen Vater Nigerianer und dessen Mutter Irin war. Zwar gibt es keine direkte Beziehung zur Familiengeschichte des in London/Brixton aufgewachenen Autors, der in Cambridge studierte, aber es mag an diesen interkulturellen Erfahrungen liegen, dass dieses Stück nie billige Vereinfachungen im Verhältnis von Schwarzen und Weißen zeigt, sondern ein hartes und zugleich subtiles Spiel über eine unauflösbare Verschlungenheit der Identitäten beider Kontinente. Gestalt der beiden Außenseiter zeigt «Hotel Orpheu» ein Beckettsches Paar, allerdings verwurzelt in der realen Geschichte Angolas und Portugal. Schritt für Schritt löst das Stück die Grenze zwischen «denen» und «uns» auf – beide Figuren sind Opfer und Täter, wobei der Weiße bessere Karten hat in diesem Spiel, das keine Gewinner hat.
Nach Portugal sehnen sich diese im Nirgendwo gestrandeten Figuren sich wie einst die Helden Tschechows nach Moskau. Portugal, das Seefahrerland, wird seit Jahrzehnten von Flüchtlingen aus jenen Ländern heimgesucht, die es einst kolonialisierte. Nun aber fliehen inmitten des Bürgerkrieges auch Weiße, die entwurzelte Mittelschicht «zurück» nach Europa. Joe und Joao machen sich aus der ehemaligen Kolonie Angolaohne Geld und Visa au den Weg ins «Mutterland», kommen allerdings nie in diesem Portugal an, von dem sie geträumt haben, auch nachdem sie da sind nicht. Der erste Teil des Stückes zeigt sie als Passagiere eines Frachtschiffes, in dem Joe sich als schwarzer Passagier im Laderaum verbirgt und auf Joao trifft, bei dem er sich später in einem billigen Hotelzimmer versteckt. Beide Schauplätze des Stückes sind Nicht-Orte, Räume des Übergangs, welche die Flüchtenden um so zwingender aneinader fesseln: Ohne den andern sind beide verloren und doch bedrohen sie sich mit dem Tod: «Du bist mein Unglück!» Die Situation zwischen ihnen erinnert an den Todestanz von Edgar und Alice bei Strindberg, nur daß in Haßliebe hier kein Kampf der Geschlechter ist, sondern ein unlösbarer Bürgerkrieg, mit Konflikten um Hautfarbe, Kultur und Macht, der hier sein intimes Schlachtfeld gefunden hat.
Das erste Wort das Joe während der Überfahrt auf portugiesisch lernt, ist «Geld». In Portugal verweigern ihm die Behörden den Paß, aber auch Joao, der weiße Angolaner stirbt als Portugiese an einer Überdosis Heroin, statt hier endlich sein Glück zu machen. Es ist, als könnten beide der Tragödie eines Kontinents, der auf der anderen Seite des Meeres in Bürgerkrieg und Korruption versinkt, auch am Ort ihrer Zuflucht nicht entrinnen, weil auch dieser Teil der Welt ein Teil der Tragödie ist, vor der sie fliehen.
Gabriel Gbadamosi hat an einem der Ränder Europas genau hingesehen. Er begreift die Bewegungen und Konflikte, in denen seine Figuren stehen, in den tieferen Strukturen der Geschichte und Kultur, Sprache und Begierde und offenbart sie im genau modellierten Verhalten von Menschen: Da entdecken sich zwei Fremde im naßkalten Laderaum eines Fischtrawlers, die verschiedene Sprachen sprechen, sich aber verständigen müssen. Sie hüten ihre Verstecke und Geheimnisse in diesen Räumen, doch später das Hotelbett müssen sie sich teilen.
Gbadamosi behandelt Requisiten, Lichtstimmungen und Geräusche wie Leitmotive – sie kehren leicht verwandelt wieder, spiegeln und verkehren sich. Die Dialoge sind poetisch knapp und hart und bilden als sorgsam geformte Sprache das Gegengewicht zum Schweigen – jenem stummen Text der Szene, der die drei Akte wesentlich bestimmt. Viele der sprachlichen Qualitäten von «Hotel Orfeu» gingen in ihrer freizügigen «Eindeutschung» verloren, aber die musikalische Struktur des Stückes bildet zum Glück eine Erzählung der Verläufe und Motive jenseits der ausgesprochenen Sprache. Gabriel Gbadamosi schuf ein Stück der Ankunftslosigkeit und Überlebensmühen, das seine Figuren mit einem merkwürden Blick aus Mitfühlen und Trostversagung betrachtet und aktuell bleiben wird in einer von neuen Kämpfen bewegten Welt der steigenden Meeresspiegel und zerfließenden Identitäten.