«Trial and Terror.» 

Über den Kapitalismus als Religion und radikale Aspekte unserer Identitätspolitik 
von Thomas Oberender

 

 

«Die Menschen sind mehr Kinder ihrer Zeit als Kinder ihrer Eltern.» Marc Bloch

Was bedeuetet es, wenn Namen wie Osama Bin Laden, Taliban, Wahabismus oder Al Quaida, die in der westlichen Welt vor dem 11. September 2001 nur wenigen Menschen vertraut waren, uns plötzlich geläufig wurden? Der islamistische Terrorismus hat uns «beschrieben» und diese Wörter mit Gewalt in unser Vokabular eingetragen. Und umgekehrt ist so, daß die Sprache des Abendlandes andere Kulturen permanent «überschreibt».

Ich glaube, daß die Auseinandersetzung, die seit dem 11. September 2001 als «Kampf der Kulturen» oder «Krieg zwischen Zentrum und Peripherie» beschrieben wurde, ein Krieg der Propheten ist, ein Kampf um Grundwerte und Lebensstile, wie sie sich mit unterschiedlichen Prophezeiungen verbinden. George Bush und Osama Bin Laden wurden nach dem 11. September 2001 zu Propheten rivalisierender Versprechen und Lebensmodelle. Der seit der Jahrtausendwende anhaltende assymetrische Krieg läßt sich allerdings nicht nur aus der pragmatischen und strategischen Vernunft der politischen Ziele heraus erfassen, sondern verweist auf Glaubensfragen. Die Antwort auf die Frage, wofür es sich zu sterben lohnt, führt zu dem nicht immer offen zutageliegenden Glaubenskern verschiedener Gemeinschaften. Folgt man dieser Spur des Prophetischen, so führt dies  in jene Bereiche, in denen Identitäten gebildet und Gemeinschaften formiert werden. Dennoch wirkt der Begriff der Prophetie im Hinblick auf die säkulare Lebenswirklichkeit des Westens überraschend und wenig naheliegend. Doch wie säkular und von allen Glaubensresten befreit ist diese Wirklichkeit wirklich?