«Die im Dunkeln stehen»
Zu den Lichtzeichnungen von Jaques Sehy
von Thomas Oberender
Die frühesten Fotografien hießen «Heliografien». «Die im Dunkeln stehen» – ein Wort, das auf die Neuheit des bildgebenden Gedankens und Verfahrens verwies: Die Sonne selbst belichtet das Bild und dieses vermag das Antlitz der Welt endlich so wirklich wie die Wirklichkeit selbst festzuhalten. Lichtbild, Photogramm – in den Zeiten der frühen Fotografie klang im Wort selber noch das frische Wunder der neuen Sache an. Die Idee, die lebendige Welt dinglich und dauerhafte im Bild festzuhalten und von seiner Fläche her widerleuchten zu lassen, war atemberaubend neu. Während bisher jede Zeichnung sukzessive Detail für Detail aneinandersetzte, um schlussendlich zum Bild des Ganzen zu gelangen, zeigt die Fotografie ihren Ausschnitt der Welt auf einen Schlag komplett und als eine in allen Partien gleichzeitig erfasste Totale. Auf der Fotografie ist die erblickte Welt im Akt des Belichtens in ihrer gesamten Fülle eingefangen worden – nahezu einmischungsfrei im Inneren des Apparates.
Die Lichtzeichnungen von Jaques Sehy nun kombinieren die sukzessive Vorgehensweise des Zeichnens mit jener ganzheitlichen Aufnahmeweise der Fotografie. Als Fotograf nutzt Sehy das lichtempfindliche Material des Films oder Sensors, um das, was der Betrachter später von der Welt darauf erblicken soll, in einer altmodischen, analogen Weise mit Licht darauf zu zeichnen. Er nutzt hierfür eine Stablampe wie einen Stift und das lichtempfindliche Material wie ein Zeichenblatt. Während die Zeichnung schwarz auf weiß bringt, funktioniert sein Verfahren umgekehrt: Der Abgebildete sitzt bei der Aufnahme in einem lichttoten Raum, das Studio ist ein black cube. Und damit das Bild entstehen kann, musste zuvor alles, was leuchtet, abgelegt werden, keine Uhr mit Leuchtziffern, kein Mobiltelefon – die künstliche Nacht soll im Atelier vollständig sein. Aus dieser Finsternis leuchtet Jaques Sehy dann das jeweilige Portrait mit einer Taschenlampe hervor. Er zeichnet es mit einem dünnen Lichtstrahl in die Finsternis, genauso wie ein Zeichner mit seinem Stift schwarze Linien auf weißem Papier zieht, nur eben als Lichtspur im Dunkeln.
Der Vorgang ist, in einem für die Fotografie ungewöhnlichen Sinne, räumlich, weil die Körper, die der Künstler mit dem Lichtkegel abstreifte, genauso wie seine Bewegungen dabei, sich im Raum vollziehen. Und während die klassische Fotografie das Licht im gesamten Raum gleichzeitig aufnimmt, woraus ein Teil seiner objektiven Wirkung beruht, verhält es sich bei den Lichtzeichnungen umgedreht – hier ist das Licht ist eine subjektive Geste. Wenn Jaques Sehy vor der geöffneten Blende eine Körperfläche mit Haut, Haar, Mund oder Augen hervorleuchtet, zieht er mit dem Lampenkegel eine Spur im Dunkeln. Ein analoges Moment hinzu – die zeichnende Geste des Künstlers. Kurz wird man angestrahlt und gleich darauf ist es wieder dunkel. Der Film bildet dabei, auch das ist ungewöhnlich in dieser Direktheit, den Zeichnenden selber ab – die unterschiedlichen Helligkeitsgrade der Lichtstreifen, in denen die Welt erscheint, hängen vom Tempo und Fokus seiner Bewegung mit der Lampe ab. Festgehalten wird eine aktive Geste und und die gewollten, glücklichen Zufälle, denn Sehy weiß nicht, worauf genau der Lichtstrahl trifft, wenn er den Schalter der Lampe drückt.
Das Posieren fällt weg. Für einen kurzen Moment, während ein paar Partien des eigenen Gesichts gezeichnet werden, wird klar, dass diese Dunkelheit, aus der heraus ein klein Wenig von einem ans Licht gebracht wird, eine kosmische ist. Das macht, dass viele Figuren auf Jaques Sehys Lichtzeichnungen hervortreten wie ein Spuk. Dass diese Gestalten nicht komplett zu sehen sind, sondern im Dunkeln stehen, lässt sie, denke ich, deutlicher erscheinen.