«Ein Kunstwerk des digitalen Zeitalters»
Zu «Hideous (Wo)men»ine experimentelle Soap über den selbstlosen Menschen von Bianca van der Schoot, Suzan Boogaerdt und Susanne Kennedy
von Thomas Oberender
Es gibt schnell und langsam produzierende Medien und Formate. Je schneller etwas kreiert wird, umso stärker neigt der Prozess zum Gebrauch von Formen des Typischen, Schablonenhaften und Verallgemeinernden. In der Fernsehbranche sind die Soaps das fast food unter den TV-Formaten – schnell und nach erprobten Standards produziert und dicht dran am Lebensjetzt der Konsumenten. Sie beruhen auf Typen, Mustern und Missverständnissen. Ihr Erzähltempo ist langsam und ihre Erzählung endlos: Sie laufen auf nichts zu und hören nie auf. Soaps wollen, dass wir eine Art Fernsehfreundschaft mit ihnen Darstellern schließen. Es sind die kleinen Kalamitäten des Lebens, die in diesen Dauerserien, die z.T. täglich ausgestrahlt werden, über eine lange Zeit betrachtet werden und eine seltsames Vertrautwerden mit Figuren bewirken, deren künstliche Studioheimat immer spürbar bleibt. «Hideous (Wo)men» begreift und zeigt diese Soap-Figuren als Form. Die Regisseurinnen und Ausstatterin dieser Produktion schaut auf die Welt dieser Soaps ungefähr so wie Andy Warhol auf Campells Suppendosen; und sie machen sie auf.
Es ist schwer zu sagen, ob «Hideous (Wo)men» ein Stück oder eine Aufführung oder eine Ausstellung ist. In jedem Fall sind hier die Erzählebenen der darstellerischen Spielweise, des set designs, des Kostüms und der Tonspur mindestens gleichwertig zum Text. Die Figuren wirken wie Plastiken, die Räume wie Installationen.
Die Bühne von «Hideous (Wo)men» ist eine transportable Drehbühne, deren Fläche durch Stellwände, in drei Sektionen eingeteilt werden. Sie zeigen eine Art Wohnzimmer, einen rot gefließten Raum, der vielleicht ein Badezimmer darstellt, und ein Zimmer mit Hausbar. Diese sich unausgesetzt drehende Bühne ist von einem schwarzen Portal eingefasst, dessen Öffnung der Breite der Räume entspricht, wenn sie – wie das Außenrund eines riesigen Tortenstücks – mit ihrer offenen Seite zum Publikum zeigen. Rechts und links im Portal sind auf Kopfhöhe Bildschirme eingelassen, die das Geschehen in einem der gerade hinter dem Portal gelegenen Zimmern übertragen, manchmal als Preview auf die gleich erscheinenden Bilder, manchmal aber auch vorproduziert mit alternative Vorgänge des gleichen Personals, das gerade auf der Bühne steht.
Die Vorstellung beginnt bereits während der Einlasszeit des Publikums, d.h. nachdem die Bühne zunächst die leeren Zimmer zeigt, werden darin bald schon vereinzelte Figuren in die Räume gestellt, die wie Duane Hansons Skulpturen in einem Zustand posenhafter Ruhe dastehen. Innerhalb der drei Räume erscheinen im Laufe des Abends an die zwanzig Figuren in meist statischen Tableaus, gespielt von fünf Darstellerinnen. Sie zeigen Männer und Frauen in eher typisch als persönlich wirkender Kleidung, die alle Perücken tragen und eine Gesichtsmaske aus Latex. Dazu paßt das Knarzen der sich fortwährend drehenden Bühnenmaschinerie, das leicht verstärkt wirkt, überlaut, genauso wie die undefinierbar bleibende Knautschgeräusche von Kunststoffmaterialien, die vielleicht von den Stoffen der Kleidung oder den Masken herrühren.
Ob unter den Gesichtsmasken der Figuren Frauen oder Männer spielen, ist nicht zu entscheiden. Sie wirken wie leicht übertrieben kostümiert und geschminkte Telenovela Darsteller – vom Haar über die Haut bis zur Kleidung sind sie retortenartige Geschöpfe, glatt und unspezifisch wie die drei Spielräume. Was sie repräsentieren, könnte man nicht verorten oder individualisieren – es ist das grauenhaft Allgemeine. Wie in billigen Hotels stehen in diesen Versorgungsräumen vereinzelt Topfpflanzen, die kaum Licht und Pflege brauchen, bzw. Fernseher, Mülleimer und Sessel, die allesamt eigenschaftslosesten Inbilder ihrer Art sind, Großmarktprodukte, die neu und unbenutzt wirken.
«Eine experimentelle Soap über den selbstlosen Menschen» nennt die Toneelgroep Oostpool ihre Aufführung. Das Wort «selbstlos» zeigt an, dass diesen Figuren wahrscheinlich nicht ein Übermaß an Hilfsbereitschaft eigen ist, sondern sie eher ein Mangel an «Selbst» kennzeichnet. Hideous (Wo)men experimentiert dabei ganz bewußt mit den Genre-Klischees eines Fernsehformats, das nicht eben für lebensweltlichen Realismus steht, sondern zum junk food der Fernsehkonsumenten zählt. Aber «experimentieren» heißt hier, dass die Konventionen und der eigentümlich künstliche Stil der Soaps, ihre synthetischen Charaktere und artifiziellen Studioästhetik nicht entlarvt oder hämisch vorgeführt werden. Nein, sie werden im Grunde viel ernster genommen als diese sich selber geben: Denn die Puppenhaftigkeit und Synthetische der Serienfiguren ist der kostbare künstlerische Rohstoff dieser Theateraufführung, die von hier, aus dem Zentrum einer artifiziellen und doch zunächst angenehm hochkunstfernen Form von Unterhaltungsprodukten, forschend einsetzt mit ihrer Transformation des versendeten Materials in eine Theaterform der analogen Welt. Die Aufführung bringt das triviale Material der kommerziellen Produkte unversehens in Berührung mit der Integrität der Formen aus der Sphäre der bildenden Kunst und anderer Kunstgenres wie dem Horror- oder Experimentalfilm, der klangforschenden Musik oder der Welt der Computerspiele – die allesamt «geadelt» scheinen im hohen Verständnisdiskurs der zeitgenössischen Kunst und in «Hideous (Wo)men» kurzgeschlossen werden mit dem artfremden Stoff des Kommerzfernsehens.
Wenn in «Hideous (Wo)men» Brook und Jennifer auf Angel und Rocco treffen, begegnen sich menschenähnliche Menschendarsteller, die Latexmasken, Perücken und Großmarktklamotten tragen. Ihre Gesten sind statuenhaft, sie verharren überwiegend in stummen Posen und diese abstrakten, irgendwie neutralisierten Figuren arrangieren sich Raum für Raum in immer neuen Varianten zu sprechenden Bildern. Tatsächlich «sprechen» diese stummen Darsteller von der Regie eingespielte Playback-Texte, die wie alte Tonbandkassetten von Sprachkursen für Ausländer klingen. Zusätzlich gibt es einen unsichtbaren Erzähler, der als voice over zu den eingespielten Repliken weitere Informationen über die Figuren gibt. Diese stimmliche Verfremdung, ähnlich wie die reduzierten, ungelenken Gesten rücken die Figuren weit weg von jedem sozialwirklichen Verhalten und lässt sie eher als Brüder und Schwestern der animierten Menschen in den Sicherheitsinstruktionen an Bord von Flugzeugen erscheinen. «Hideous (Wo)men» zeigt Menschen, die scheinbar nicht mehr von Menschen geboren werden, sondern von Maschinen und Animationen im virtuellen Raum – die Aufführung dreht das Verhältnis zwischen Abbild und Realität um und blickt aus der fabrizierten Realität auf die biologische Welt.
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© Sanne Peper