Der radioeins Talk: Thomas Oberender in der «Hörbar Rust» mit Bettina Rust
Ein kluger Denker, sagt die Berliner Zeitung, den vielleicht klügsten Hintergrundkopf des deutschen Theaters nennt ihn die Süddeutsche. Wäre zu klären, was ein Hintergrundkopf überhaupt ist, aber mit Sicherheit kennt er eine Antwort. Oder er denkt sich eine aus. Gebürtig in Jena studiert Oberender ab 1988 an der Humboldt Universität Theaterwissenschaft, parallel dazu an der UdK «szenisches Schreiben». Er arbeitet als Kritiker und bringt bald eigene Stücke auf die Bühne. Bühnen. Oberender wird Dramaturg an den Schauspielhäusern von Bochum und Zürich, dann für 5 interessante Jahre Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele. Mit ihm - dem Profi - kann man übrigens wunderbar auch über all das sprechen, was man am Theater NICHT versteht. Frau Rust durfte das gleich beim Kennenlernen erfahren. Seit 2012 wirkt Thomas Oberender als Intendant der Berliner Festspiele. Die jetzt den Palast der Republik wieder auferstehen lassen, aber dazu gleich mehr. Herzlich Willkommen in der Hörbar Rust, Herr Oberender.
Die Sendung hören können Sie hier
Neulich habe ich Radio gehört. Radio Eins, das ist eine Angewohnheit, die ich für zu Hause übernommen habe, seitdem mein Autoradio aus irgendwelchen Gründen den von mir bevorzugten Sender Deutschlandradio Kultur nicht mehr reinkriegt. Manchmal ist Radio Eins ganz okay. An diesem Tag stolperte ich in die Sendung «Hörbar Rust». In ihr spricht Moderatorin Bettina Rust mit wechselnden Interviewpartnern über dieses und jenes, eigentlich ein schönes Format, zwei Stunden Deep Talk, von den Gesprächspartnern ausgewählte Musik.
Zu Gast war Thomas Oberender, der bekannte Dramaturg und Intendant der Berliner Festspiele. Es schien, dass Rust und Oberender sich kannten, jedenfalls duzten sie sich. Oberender scheint sich also freiwillig und mit einer gewissen Grundsympathie in diese Sendung begeben zu haben. Er blieb die ganze Zeit über sehr freundlich und ruhig, was in einem völligen Kontrast stand zu dem intensiven Ärger, den das Gespräch bei mir auslöste und der sich während der rund 20 Minuten, die ich davon mitbekam, bevor ich hasserfüllt meinen Laptop zuschlug, immer weiter steigerte.
Es ging ums Theater. Insbesondere, zu diesem Punkt kam die Anmoderation sehr schnell, um all das, was «man» am Theater «nicht versteht». Nun ist ja grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, dass man als Journalist einem Gegenstand gegenüber eine forciert kritische, manchmal vielleicht auch instrumentell-naive Haltung einnimmt, um den Gesprächspartner dazu zu bringen, seine Gedanken zu schärfen.
Ich schätze, dass es das war, was Rust tat, als sie fragte, warum man sich in Zeiten von Netflix die Mühe machen sollte, noch ins Theater zu gehen. Oberender beantwortete die Frage brav: Es habe wohl damit zu tun, dass man Schauspieler liebe und dass Schauspieler «von Angesicht zu Angesicht zu sehen» doch noch etwas anderes sei als telefonieren oder fernsehen.
Es folgte ein längerer Gesprächsteil, den ich verpasste, weil ich in der Zwischenzeit duschen war; als ich wieder reinkam, sprach Rust gerade davon, dass immer mehr Leute einen «Bildungskomplex» haben, weil es schwerer geworden sei, eine verbindliche Allgemeinbildung zu definieren. Das ließ mich aufhorchen, weil ich die zunehmende Tendenz, jeden ganzheitlichen Bildungsanspruch aufzugeben, für ein Problem halte. Sie sei, so Rust dann weiter, in der Vorbereitung auf das Gespräch mit Oberender auf Gespräche und Interviews gestoßen, die für sie «nicht nachvollziehbar» gewesen seien. Sie gab eine «Kostprobe» und las aus einer Zeitung vor. Der Autor bezeichnete Oberender als «das seltene Exemplar eines ostdeutschen Theaterintellektuellen, der nie zu den Adepten einer materialistisch-surrealen Nach-Brecht-und-nach-Heiner-Müller-Schule gehört hat, dem auch die psychologisch empfindlichen Poesien und mythologisch befeuerten Theaterwelten eines Handke oder Strauß nicht fremd waren».
Rust las diesen Satz vor, als wäre es ein Ausbund an Verquastheit, das Wort «Adept» ließ sie schleifen, als wäre es ein abwegiges Fremdwort, das zu verwenden ein Akt der Arroganz und Profilierungssucht sei. Als sie dann auch noch im «Hä»-Gestus den armen Oberender zwang, zu erklären, was er denn bloß meine, wenn er sage, im Theater träte das Wissen unter die Menschen, dachte ich endgültig: Mir reicht’s. Eine Theaterwelt, in der noch nicht mal mehr der Anspruch besteht zu verstehen, was «materialistisch-surrealistisch» bedeutet, und in der, wie es später im Gespräch noch geschah, ständig gefordert wird, das Theater müsse «immersiver», «volksnäher» werden, kann doch auch nicht die Antwort sein. Das Problem des zeitgenössischen Theaters ist ganz sicher nicht, dass es zu wenige Mitmach-Spielplätze bietet. Die Verachtung für alles vermeintlich Verquaste und Abgehobene, das vorschnelle Etikettieren von begrifflicher Präzision als «hochnäsig» allerdings ist ein gigantisches Problem unserer Zeit.
Die Welt, 6.3.19