«Strafe wofür?»

Neil LaBute über seine neuen Stücke, den 11. September, Woyzeck, Brecht, New York und die Hoffnung auf Katharsis.
Ein Gespräch mit Thomas Oberender

 

 

Thomas Oberender: Wie würden Sie einem Menschen, der nicht religiös ist, erklären, was eine Sünde ist?

Neil LaBute: Ich würde sagen: Hören Sie doch nicht auf mich… Niemand hindert Sie daran, ein Schwein zu sein, also los! Nein, Quatsch… Das Konzept Sünde ist schwer zu verstehen, selbst für religiöse Menschen. Die Vorstellung, dass wir uns als Sterbliche auf eine Weise versündigen können, die unserem gewöhnlichen Handeln – und selbst unseren Gedanken – widerspricht, oder die zumindest untypisch für uns ist, ist tatsächlich ein herausforderndes Konzept. Ich würde sagen, daß der Zugang zum Verständnis der Sünde in der klaren, leisen Stimme in uns liegt, jener Stimme, die uns eine luzide Erklärung gibt, außerhalb der jeweiligen Umstände und Möglichkeiten. Schlicht gesagt, vermittelt uns diese Stimme eine unmittelbare Empfindung von gut und böse, richtig und falsch. Das ist Moral auf ihrem grundlegendsten, elementarsten Niveau. Demnach ist es  Sünde, wenn man etwas tut, das außerhalb jener Parameter liegt, die vorher von der eigenen Moral aufgestellt wurden.