Theater neuen Typs e.V.
Am 3. September 1997 wurde in Berlin der gemeinnützige Verein «Theater Neuen Typs» gegründet. Das TNT verstand sich als ein virtuelles Autorentheater, das kein eigenes Haus anstrebte und keine eigene Bühne betreiben wollte, sondern über mehrere Jahre hinweg als ein Netzwerk assoziierter Künstler und Institionen funktionierte. Ähnlich wie das ungefähr zur gleichen Zeit gegründete «Uraufführungstheater» von Oliver Bukowski, das sich bald schon mit dem Schauspiel Dresden verbunden hat, hatte diese Berliner Autorenvereinigung das Ziel, neue Texte vorzustellen und dabei die Bedingungen der Präsentation von Seiten der Literaten zu prägen. Müde vom Zirkus und Messeklima der zahllosen Stückemärkte und Autorentage wollten die Autoren im TNT alternative Erlebnisformen für neue Texte entwickeln, eine Gemeinschaft zwischen den sonst vereinzelt arbeitenden Autoren und Autorinnen bilden und die Schauspieler und Regisseure selber auswählen, die sich mit ihren Stücken beschäftigen. Das TNT war eine sich über die Jahre hinweg immer wieder neu formierende Gruppe von Autoren und Autorinnen, darunter Daniel Call, Lutz Hübner, Simone Schneider, Theresia Walser, Thomas Oberender, Moritz Rinke oder Martin Baucks.
«Das Theater Neuen Typs ist eine Autoreninitiative, die sich für ein Theater engagiert, dessen Impuls vom Schreiben ausgeht. Ziel dieser Initiative ist es, neue deutsche Dramatik vorzustellen und in ihrem Entstehen zu fördern. Die Arbeit des TNT reagiert auf ein strukturelles Defizit innerhalb des deutschen Theatersystems, das lebende Autoren zwar willkommen heißt, für ihre Anwesenheit als integraler Bestandteil (eines noch immer weitestgehend literarisch geprägten Theaters) aber kaum noch Platz bietet.
Die enorme Menge der Uraufführungen an deutschsprachigen Bühnen, die zunehmende Zahl der von ihnen vergebenen Auftragsarbeiten und veranstalteten «Stückemärkte» kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Autor, trotz (oder vielleicht gerade wegen) dieser zum Teil vorbildlichen Unterstützung und Förderung durch das staatlich geförderte Theater, dennoch einem exklusiven Betrieb der Stadt- und Staatstheater gegenübersteht, für den er, obgleich noch lebend, als tot gilt.
Die Zeiten, da Autoren Mitarbeiter am Theater waren, sind inzwischen Vergangenheit. Entweder der Autor wird / oder ist Regisseur, oder er bleibt ‘draußen’ - dies scheint die Tendenz. Freilich ist sie nicht das Resultat einer vorsätzlichen Ignoranz oder Mißachtung gegenüber den Autoren. Viele der großen Drei-Sparten-Häuser haben für den Bereich Schauspiel heute nur noch einen Dramaturgen, der, genauso wie die Schauspielerensembles und Regisseure am Rande seiner Kapazität, ein unvermindert breites Repertoire an Aufführungen zu verantworten hat. Je geringer die Subventionen werden und je drängender die Forderungen nach hohen Einnahmen, die diese Theater zu erwirtschaften haben, desto kleiner wird der Spielraum für Wagnisse und Projekte. Der gesamte Betrieb der staatlich gestützten Theaterproduktion ist so kostspielig und aufwendig geworden, daß die Arbeit mit lebenden Autoren und ihren, zunächst riskanten, da unerprobten Vorschlägen, dort kaum noch stattfindet, es sei denn, man kann darauf spekulieren, mit einer Uraufführung das versammelte Feuilleton der deutschen Presse ins Haus zu locken. Dies ist freilich ein Paradox, da ja Subventionen gezahlt werden, um ein Risiko zu finanzieren - das in marktwirtschaftlich organisierten Theatern nicht eingegangen wird. Und dennoch wurde dies Paradox zur fraglosen Normalität. Eine Initiative wie das TNT versucht nun, sich ihr zu entziehen.
Eine Autoreninitiative, die sich für ein Theater engagiert, dessen Impuls vom Schreiben ausgeht, hat zunächst nichts gemein mit einem Theater, in dem sich Autoren selbst inszenieren. Das Problem besteht nicht in der oftmals verketzerten Tradition des Regietheaters. Im Gegenteil. Die neue Dramatik braucht durchsetzungsfähige Regisseure, inspirierte Aufführungen und Ensembles, die sich durch diese Regisseure bilden. Das Selbstverständnis des TNT ist dementsprechend das eines Netzwerkes, das in der Zusammenarbeit mit professionellen Regisseuren und Schauspielern solche Synergieeffekte ermöglichen und fördern will. Aber Ausgangspunkt und Ziel dieses Engagements ist die Wechselwirkung zwischen allen Beteiligten, die gleichberechtigte Zusammenarbeit der Partner. Im TNT geht es nicht darum, daß junge Dramaturgen, Schauspieler und Regisseure etwas für Autoren tun, sondern mit Autoren. Und um dies zu ermöglichen, haben sich zunächst eine Reihe junger Autoren zusammengeschlossen.
Das TNT wird als ein virtuelles Theater seine Projekte und Aufführungen zunächst nur durch die Kooperation mit anderen Theatern, Institutionen und Festivals durchführen können. Fernziel bleibt daher, auch für Deutschland eine dem Londoner «Royal Court Theatre» vergleichbare Institution zu schaffen, die neben den bestehenden Theatern einen unabhängigen Ort für eine kontinuierliche Entwicklungsarbeit an neuen Texten gewährt und zu einer ersten Adresse für junge Dramatiker und ein an neuen Texten interessiertes Publikum wird. Was eine solche Institution zu leisten vermag, davon vermitteln einige der bisherigen Aktionen bereits eine lebendige Vorstellung.»
Die Reihe »Lunatische Lesungen» hat einer Idee von Simone Schneider folgend immer an Vollmondabenden neue Theatertexte in szenischen Präsentationen (begleitet von der Band «Hey o Hansen») vorgestellte und anschließend gefeiert. Ort war die Studiobühne des Renaissance Theaters Berlin. Dort fanden u.a.folgende Lesungen statt:
5. Oktober 98 - «Lunatische Lesung I» im Renaissance Theater Berlin, Studiobühne: Daniel Call - «Im Einvernehmen», Regie: Daniel Call, Musik: Hey o Hansen
4. November 98 - «Lunatische Lesung II» im Renaissance Theater Berlin, Studiobühne: Melanie Gieschen - «Gnadenlos», Regie: Thierry Bruehl, Musik: Hey o Hansen
November 98 - «New German Voices» - Szenische Lesungen neuer deutscher Dramatik in New York, die in Zusammenarbeit mit dem TNT vom German Theatre Abroad (GTA) unter dem Titel: «Enough of german fräuleins» im Cherry Lane Theatre veranstaltet wurden
6. Dezember 98 - «Lunatische Lesung III» im Renaissance Theater Berlin, Großes Haus: Simone Schneider, «Ägypter», Regie: Walter D. Asmus, Musik: Hey o Hansen
31. Januar 99 - «Lunatische Lesung IV» im Renaissance Theater Berlin, Großes Haus: Lutz Hübner, «Einfache Freuden», Regie: Lutz Hübner, Musik: Hey o Hansen
Mai 1998 - Eröffnung der «Mühlheimer Stücketage 1998» mit einem durch das TNT veranstalteten «Forum europäischen Autorentheaters» - Mitwirkende: Debüt-Zentrum Moskau (Olga Subbotina), Royal Court Theatre London (Carl Miller), Bienale Bonn (Manfred Beilharz), Theater Gerard Philippe (Maurice Taszman) und TNT
Festival «Achtung Gegenwart», Theater Oberhausen, 5.-7. Juni 1998
Inszenierungen, Lesungen, Konzerten, Ausstellungen und Filmen zur «Gegenwart der Gegenwart».
Unter diesem Namen fanden in enger, aufreibender und schöner Zusammenarbeit zwischen dem TNT und dem Theater Oberhausen ein zweitägiges Festival mit neuen Texten deutschsprachiger Dramtiker und Dramatikerinnen statt.
Beteiligte Autoren: Moriz Rinke, Daniel Call, Martin Baucks, Thomas Oberender, Theresia Walser, Wilfried Happel, Lutz Hübner, Chris Ohnemus, Simone Schneider, Katharina Gericke, Alexej Schipenko, Silvio Huonder, Beate Heine. Beteiligte Regisseure: Stefan Otteni, Andrea Betteni, Michael Neuwirth, Imke Baumann, Klaus Weise, Ulrike Grave, Mohammed-Ali Behoudi. Musik: FM Einheit, Hey o Hansen. Filme / Video-Installationen: Kay Voges, Erinnya Wolf.
Dramaturgie / Gesamtleitung: Stephanie Gräve