«Statt Götter nur Dämonen»
von Thomas Oberender
Wie so aufeinmal wieder Krieg im Namen eines Gottes? Roger Friedland schrieb unlängst: »Geld ist ein weltumspannendes Medium und ein Speicher der sozialen Wertzuschreibung geworden, über die der Nationalstaat durch die Multinationalisierung der Geldgeschäfte und die Deregulierung der Finanzmärkte immer weniger Kontrolle ausübt. Kann es wirklich überraschen, daß in einer Zeit, da die vorherrschenden kollektiven Repräsentanzen von den irdischen Mächten des Nationalstaates weder in Grenzen gehalten noch kontrolliert werden können, Gott – dieses andere totemistische Prinzip – wieder so großen Zulauf findet?
Das Geld als Repräsentanz – im Gegensatz zum Geld als Ware – ist an kein »Ding» mehr gebunden. Sein Wert hängt offensichtlich nur vom Glauben ab – und vom Glauben an den Glauben. Wie ein transzendenter Gott ist das Geld zu einem unsichtbaren numerischen Geflecht aus Versprechungen und zu einer puren Abstraktion geworden. Das Geld ist mittlerweile eine rein gesellschaftlich verankerte und definierte Kraft. Religiöse Nationalisten entfalten ihre Kritik des Kapitalismus in einem Diskurs der Entweihung. Es sind die Unterschiede zwischen den beiden symbolischen Ordnungen Gottes und des Geldes, die das ermöglichen.» (In: Lettre, Heft 3 / 2001)
Die in Roger Friedlands Text skizzierte Dynamik zwischen Ent- und Resakralisierung erhielt in der gewaltsam erzwungenen Schockpause des Lebens in der westlichen Welt eine erschreckende Plausibilität. Die aus diesen Überlegungen abgeleitete Formel «Gott gegen Geld» spitzt zu, vor welchen Herausforderungen die internationale Politik seit dem 11. September steht: Begriff des «Politischen» existiert nach Carl Schmitt nur in einer prekären Abhängigkeit von der Bestimmung des Feindes. Zudem erweist sich die Ordnung der Weltgesellschaft als Krisensituation eines Imperiums und der Haß der Ohnmächtigen, der auf einen Feind in effigie zielt. Wenn man J. A. Schumpeters These vom notwendigen Zusammenhang zwischen kreativer Zerstörung und Kaptialismus zustimmt, so drängt dieser Prozeß seine Gegner immer weiter zurück, in den Untergrund oder die Höhlen, wie derzeit Osama Bin Laden. Es spricht einiges dafür, sich bei der Suche des Westens nach Osama Bin Laden an die Suche iranischer Fundamentalisten nach Salman Rushdie zu erinnern. In beiden Fällen erhält eine gestaltlose Bedrohung ein Gesicht und die Figur des Verbrechers wirkt durch seinen Rechtsbruch an der Legitimierung des jeweiligen Rechtes mit.
Der Versuch, sich ein Bild von den Attentätern und dem durch sie eröffneten Konflikt zu machen, führt immer wieder auf Carl Schmitts Definitionen des Politischen und des Partisanen zurück. Doch wie, so fragte Al Goergen, kann man Politik ohne Voraussetzungen denken, d.h. ohne die Rückführung auf etwas ‘Anderes’, einen Feind oder ein Ziel? Welchen Überschuß im Bestehenden gibt es, der dazu taugt, den Begriff des Politischen zu erweitern? Der Immanenzzusammenhang des Kapitalismus hat die autonome Sphäre der Politik besiegt. Und nun? Es kommen, so der Mailänder Philosoph, keine neuen Götter auf uns zu, sondern viele kleine Dämonen. Daß die neuen Feinde aus dem Inneren der Systeme kommen, verweist auf den zweiten Theoriekomplex – die Systemtheorie Niklas Luhmanns.
Nach den Attentaten des 11. September 2001 und den nachfolgenden Kriegen in Afganistan und Israel stellt sich auch in Westeuropa die Frage nach den Möglichkeiten politischer Teilhabe im Sinne eines kollektiven Engagements und staatlicher Handlungsfähigkeit. Hat die symbolische Gewalt dieser Attentate unser Selbstverständnis tatsächlich erschüttert oder nicht eher gefestigt? Schließlich hielten die Netze - die Informationen, Waren und Finanzen fließen nach wie vor. Und hat nicht genau dies eher unbemerkt eine ganz andere Form von Realität erzeugt, die hybrid und flüssig ist, so wie sie eine neue Form von ferngesteuertem Krieg erzeugt hat, neue Ideen und Spielräume von dem, was erlaubt ist, neue Formen des Erzählens und Herrschens? Was für ein Thema für die Bühe!
Der Text erschien in ungestrichener Form in: In: «Gott gegen Geld», Ulrike Hass und Thomas Oberender Hg., Alexander Verlag, Berlin 2002
Die in diesem Buch versammelten Texte wurden als Vorträge in einer vom Schauspielhaus Bochum und der Ruhr-Universität Bochum veranstalteten Reihe unter dem Titel »Gott gegen Geld« gehalten. Begriffe wie »Ressentiment«, »Imperium«, das Verhältnis zwischen »Peripherie und Zentrum« oder verschiedene Formen der »Entpolitisierung« gewinnen nach den Anschlägen des 11. September neue Orientierungsfunktion. Unter der Hand erweist sich dabei die Frage nach der Zukunft des Politischen als die stumme Stimme hinter den Diskursen. Mit Texten von Dirk Baecker, Friedrich Balke, Al Goergen, Eric Alexander Hofmann, Hans-Thies Lehmann, Manfred Schneider, Nikolaus Müller-Schöll und Bildern von Peter Rusam.
Der Literatur- und Theaterwissenschaftler Nikolaus Müller-Schöll erinnert an die literarische Figur des »Großen Verbrechers« und ihre Funktion: In Dr. Mabuse nimmt die anonyme Bedrohung durch die unsichtbare Hand des Markts unvermittelt Gestalt an, und auch Osama bin Laden verkörpert als Figur die Infragestellung der Gründungsgewalt der herrschenden Ordnung. Recht setzen gründet auf Entsetzen. Der Philosoph und Übersetzer Al Goergen sieht in der Neutralisierung des Politischen den Grund dafür, daß die Religion zunehmend als innere Alternative zum Staat als Träger der Politik betrachtet wird. Denn auch in der westlichen Welt wirkt das religiöse Dogma in Gestalt des technologisch-szientistischen Apparats scheinbar unbeschadet weiter.Friedrich Balke, Philosoph und Literaturwissenschaftler, stützt seine »Theorie des Ressentiments« auf Nietzsche: Die Macht des Vornehmen zeigt sich im hochmütigen Übersehen ihrer Feinde. Die Rache der Ohnmächtigen zielt auf einen Feind in effigie, auf irreversible Denormalisierung und ist ein Krieg nach der Niederlage. Ein Zusammenhang, der sich in der Wiederlektüre von Kafkas »Schakale und Araber« erschließt. Der Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann beschreibt in seiner Analyse des Stücks »Zement« von Heiner Müller ein Gegenmodell zur Evakuierung des Politischen und zur Entdramatisierung des Bewußtseins: »Zement« als eine Phänomenologie der Feindschaft. Der Soziologe Dirk Baecker betrachtet den Krieg als Ernstfall der soziologischen Forschung und analysiert die Versuche, eine Theorie des Konflikts bzw. der Entkoppelung von realer und ritueller Gewalt zu denken. Denn: Terrorakte sind die Gewalt, um deren Vermeidung es den Terroristen geht. Die Neubetrachtung des Begriffs vom Barbaren durch den Theaterwissenschaftler Eric Alexander Hofmann untersucht die Korrelation sozialer Systeme und ihrer semantischen Archive: vom Begriffsverhältnis zwischen Hellenen und Barbaren über Schillers Interpretation der Französischen Revolution bis zur Betrachtung der Protestbewegung als sozialer Antikörper. Manfred Schneider, Professor für Germanistik, Ästhetik und Neue Medien, verfolgt den Ekel am Fiktivwerden der Welt durch Bücher, Bilder, Schriften und Medien und interpretiert die Terrorakte als Versuche der Attentäter, ein heroisches Original zu werden. Untersucht wird die Strategie des Westens, sich selbst ins Unwirkliche emporzusurrealisieren, um sich in der Macht des Glaubens zu halten.