«Pilger bleiben»
Beitrag für das Themenheft Theaterwissenschaft, Forum Modernes Theater
von Thomas Oberender
Name: Dr. Thomas Oberender
Beruf: Autor, Dramaturg, Kurator
Studium der Theaterwissenschaft (wann/ wo): 1988 – 1993, Humboldt Universität zu Berlin, 1991 – 1994 Universität der Künste Berlin
3 Dinge, die Sie an Ihrem Theaterwissenschaftsstudium begeistern / begeistert haben:
Ein akademisches Studium unter den Bedingungen eines Kunststudiums: Alle zwei Jahre wurden nach einem Auswahlverfahren zwischen sieben bis zwölf Studenten neu immatrikuliert. Die Studiengruppe war klein, der Kontakt zu den Kommilitonen und Lehrenden intensiv.
Das Lehrkonzept kombinierte die Theaterwissenschaft mit einem studium generale der allgemeinen Kultur- und Literaturwissenschaft, sowie Schauspielunterricht über zwei Semester. Rückblickend begeistert mich das moderne Studienkonzept. Es war einerseits von einer durchaus «schulischen» Ausbildung in klassischer Theatergeschichte (Antike, Mittelalter, Neuzeit) und Dramaturgie (einschl. Mediengeschichte und -dramaturgie) geprägt, und einem andererseits sehr avancierten Begriff von «Theater», der sich in diversen, z.T. sehr speziellen Forschungsbereichen wie der Geschichte der Populärkultur, oral history, dem mittelalterlichen Kirchenspiel oder der Figur des Tricksters in der westafrikanischen Kultur niederschlug.
Die Lehrkräfte waren Persönlichkeiten. Nachdem ich im ersten Semester in den «Dramaturgischen Blättern des Deutschen Theaters» einen Aufsatz veröffentlichte, wurde ich von der Dramaturgieprüfung befreit. Das gefällt mir, auch als eine Geste der Freiheit, noch heute.
Das würden Sie heute einem Studienanfänger mit auf den Weg geben?
Man profitiert langfristig am meisten vom «unpraktischen» Wissen, das in der Studienzeit akkumuliert wird. Praktisch wird es später noch schnell genug. Das, was unseren Horizont erweitert, was einen Wert in sich trägt, was uns später Kategorien und Assoziationen stiftet, lernt man nur, wenn es zunächst zu nichts «dient». Wenn es seinen Nutzen und seine Schönheit in sich trägt. Also: Nur was auf den ersten Blick unnütz ist, erweist sich auf lange Sicht als gewinnbringend.
Unsere eigentliche Begabung ist eher akzidentiell: Im geisteswissenschaftlichen oder kreativwirtschaftlichen Zusammenhang qualifizieren uns gerade jene Begabungen, die man im eigentlichen Sinne nicht «studieren» kann. Ein gutes Studium hilft, ein guter Spieler zu werden. Dafür hilft es, bestimmte Dinge ernst zu meinen - eine Idee, ein Problem, die Genauigkeit des Wissens. Studieren heißt, Fleiß und Gründlichkeit üben und gleichzeitig: Verblüfft werden wollen.
Unter den Vorzeichen des Gelderwerbs sammelt jeder Mensch Erfahrungen im Umgang mit der Macht, die ihm als Student weitestgehend erspart geblieben sind. Bis dahin hieß studieren, vieles zu erwerben, was einem niemand nehmen kann. Einen Schatz an Gedanken und Koordinaten bilden. Und zugleich: Die eigene Jugend ein wenig verlängern, etwas länger pflichtlos leben, bzw. die oberste Pflicht als jene begreifen, jeden Tag etwas klüger und überraschter vom Lesen und Schauen zurück zu kehren.
Daher ist das Studium im günstigsten Fall die Zeit der Reisen und Auslandssemester. Nie am Heimatort studieren! Nie bei den Eltern wohnen! Und: Man studiert nicht, um später Geld zu verdienen. Wenn man wirklich studiert (siehe die ersten Punkte), kommt das Geld später von allein.
Wie Klaus-Michael Grüber sagte: «Pilger bleiben, und nicht Priester werden.»
Und: Ein Abschluss bleibt.