«Das hat mit Ost-West nichts mehr zu tun»

Gespräch mit Ludwig Greven

Ludwig Greven: Wir haben seit 15 Jahren eine ostdeutsche Kanzlerin. Wir hatten einen Bundespräsidenten aus der ehemaligen DDR. Weshalb fühlen sich Ostdeutsche dennoch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer unterrepräsentiert, teils sogar stärker als vor einigen Jahren?

Thomas Oberender: Weil sie es sind. Nur ein Gedankenspiel: Was wäre, wenn Bayern sich mit Österreich vereint hätte und es gäbe danach in Bayern keinen bayerischen General mehr und nur noch 1,5 Prozent der Professoren wären landesweit Bayern. In der Wirtschaftselite wären immerhin noch 4,7 Prozent aus Bayern und in der Kultur sogar 7,3. Allerdings wären ja 80 Prozent der Bayern nach der Vereinigung in Bayern geblieben, so dass dort die Statistik sehr viel schlechter aussähe. Überall Chefs aus Österreich. 

Neben der Übermacht westdeutscher Eliten haben viele im Osten den Eindruck, mit ihrer Lebenserfahrung in der DDR, in der Revolution 1989/90 und der Transformationsperiode danach nicht anerkannt zu werden, wie Sie in ihrem Buch beschreiben. Treibt das so viele in ihre Abwehrhaltung, auch gegen Migranten, obwohl es denen ja ganz ähnlich ergeht? 

Auf diese Anerkennung wartet glaube ich niemand mehr. Nein, der SPIEGEL hat noch 1991 den «Ansturm der Armen» getitelt: Flüchtlinge, Aussiedler, Asylanten. Es gibt eine alte Verachtungsgeschichte des Ostens und der Migranten, noch aus Zeiten vor der Öffnung der Mauer und die setzt sich fort, indem einfach weiter pädagogisiert und belächelt wird, statt hinzuschauen. Ich denke, dass es zwei Formen der Moderne gab, eine westliche und eine östliche, wobei die osteuropäische ein totalitäres System war, ganz klar. Aber beide waren hochindustrialisiert, auf Massenkonsum ausgerichtet und betrachten die Natur als eine Art Warenlager. Beide haben Computer und Raketen gebaut und die alten Eliten abgeschafft. In vielem waren wir einander nicht so fremd.