«Ins Netz gegangen» 
Zum Wahlerfolg der DVU in Sachsen Anhalt
von Thomas Oberender

 

Der Wahlerfolg der DVU ist der Erfolg einer virtuellen Partei. In Sachsen-Anhalt erringt sie als Partei ohne Mitglieder über zwölf Prozent der Wählerstimmen. Sie ist eine Partei ohne Ort: ihr Zuhause ist ein Postfach. Auch ihr Wahlkampf war virtuell: die Partei war mit ihren Parolen omnipräsent, doch nie greifbar. Sie arbeitet wie ein Unternehmen - sie braucht lediglich eine Firmenzentrale, die ein bewegliches Netz namenloser Mitarbeiter und Dienstleister mit einer Idee versorgt: Protest. Die Abgeordneten und Kandidaten der DVU sind wenig mehr als die Medien des Parteichefs Gerhard Frey. Materialisieren muß sich diese Strategie einer virtuellen Partei kaum noch - die DVU veranstaltet keine triumphalen Wahltage und promotet keine Personen. Die nach allen Regeln der Werbekunst entworfene Oberfläche der politischen Bewegung macht vergessen, daß es in ihr kein Dahinter gibt: keine Parteibasis, keine innerparteiliche Demokratie, keinen Spitzenkandidaten. Auf den Plakaten prangte Hinz und Kunz. Nur das Image stimmt.

Das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt ist das Resultat von Tabus und Sehschwächen der alten Bundesrepublik. Noch wird darüber nicht gesprochen. Ostdeutschland bestätigt vielmehr nur die schlimmsten Klischees des Westens - «dort leben halt noch keine Demokraten». In Ostdeutschland zeigt man bei dreißig Prozent Arbeitslosigkeit indes wenig Bereitschaft, den Tabukonsens der alten Bundesländer zu teilen - dieses Wählerverhalten nutzte Herr Frey aus. Die DVU profitiert davon, daß angesichts hartnäckiger Tabus in der Bundesrepublik der mentale Nachkrieg noch immer nicht überwunden ist. Denn die DVU hat die Wahl nicht mit ihrer Forderung nach einer revidierten Ostgrenze gewonnen, sondern indem sie konsequent sagte, was die meisten hören wollen und was keiner sich einzugestehen und zu sagen traut. Eines dieser Tabus besagt, daß es mit Ausländern in Deutschland kein Problem gibt.

Die Strategie der DVU ging auf. Eine Anekdote: Ein Freund schrieb vor einigen Tagen eine Reportage über Eisenhüttenstadt. Er erwähnte darin die auffallend starke Tendenz zu rechtsradikalem Denken unter Jugendlichen. Seine Auftraggeber im DGB legten ihm nahe, diese Beobachtung zu streichen. Montag, einen Tag nach der Wahl, bekam er einen Anruf, diese Passage vielleicht doch im Text zu lassen. Plötzlich stimmt, was wahr ist.Der Wahlerfolg der DVU war kein Unfall. Sie führte den modernsten Wahlkampf. Sie verkauft Politik wie eine Ware: Aggressive Werbung und zackiger Focuston - alle fünfzig Meter Plakate, Luftschiffe über den Dörfern und Hubschrauber mit Spruchbändern über CDU-Veranstaltungen. Gerhard Frey ist ein Unternehmer und beherrscht das politische Marketing sehr gut. Während sich Gerhard Schröder müht, ein zweiter Tony Blair zu werden, machte die DVU einen «Themen»-Wahlkampf und verzichtete auf amerikanisch gefärbte Wahlspektakel. Es reichte die Aussprache des Unaussprechlichen - damit erreichte sie die Protestwähler. Das Wahlverhalten in Sachsen-Anhalt beschrieb ein Dilemma: die Erststimmen galten den Kandidaten der traditionellen Parteien, doch richten sollen sie sich nach dem Programm der Zweitstimmenpartei DVU.

Für die DVU ist die Nachkriegsordnung tatsächlich gefallen und mit ihr die Tabuzonen der Politik. Als eine Unternehmerpartei reagiert sie an der Oberfläche instinktsicher auf die Probleme einer neuen, von Globalisierung und allseitiger Verflüssigung der Lebensweise bestimmten Gegenwart. Die Herausforderung an eine Politik, die dem Epochenwechsel unserer Tage gerecht werden will, besteht darin, auf die tatsächlichen Ängste und Nöte der Menschen zu reagieren, ohne sie mit der Preisgabe demokratischer und weltoffener Grundsätze zu bezahlen.