Ansprache anläßlich des «Kerr Darstellerpreises» beim «Theatertreffen» 2016

von Thomas Oberender

Als Gegenstück zur Theatertreffen-Auswahl, die von einer Theaterkritiker-Jury bestimmt wird, liegt Verleihung des Alfred-Kerr-Darstellerpreises in der Hand eines Schauspielers oder einer Schauspielerin, der den oder die jungen Kollegen auswählt, der ihn in der Theatertreffen-Auswahl am meisten beeindruckt hat.

Schauspieler arbeiten für das Medium des Theaters oder Films und gleichzeitig sind sie selber Medien – also «das den Durchschein Verkörpernde», so hat dies Botho Strauß einmal genannt. Sich durchlässig machen für etwas Dahinter-, Darin-, Darunterliegendes, das aus ihnen dann hervorleuchtet im Sinne der Möglichkeit eines anderen Lebens, das ist eine der für diesen Beruf wesentlichen Qualitäten von im privaten oft eher schüchternen Menschen.

Schauspiel, so bemerkte gestern die Regisseurin Daniela Löffner beim Schauspieler-Fokus des Theatertreffens sehr treffend, sei die Begegnung mit der Biografie einer anderen Person als der eigenen. Und, so wurde von Herbert Fritsch und Ersan Mondtag ergänzt, auch die Begegnung mit Farben und Tönen, die plötzlich Körper werden. Nicht nur die reale Gestalt eines anderen Menschen ist es, der man begegnet, es ist auch die Begegnung mit etwas Abstraktem wie Formen und Tönen oder eine Begegnung mit Elementen aus einem ganz neuen «kulturellen Schatz», wie Ersan Mondtag dies nannte, nämlich mit den digital generierten Figuren und Gesten des virtuellen Raums, die erst auf der Bühne plötzlich einen Leib erhalten, einen Gang und so überhaupt: Das Menschliche, in dem wir uns, weil die Schauspieler und Schauspielerinnen diese Traum- und Alptraumwesen, diese Trickgestalten, Cyborgs und Chimären verkörpern können, neu entdecken.