«Jahresringe, einwärts.»

Erzählung über Heidelberg
von Thomas Oberender

 

Thingstätte Heidelberg

 

Es schien ihm, als würde die Zeit, die er in dieser Stadt verbringt, im Laufe der Jahre immer kürzer. Doch es war nicht die Dauer seines Aufenthaltes, sondern die Art seiner Gegenwart, die sich veränderte. Je verplanter er seine Tage dort verbrachte, um so wohltuender empfand er die Verlockung dieses Ortes, sich hier einfach treiben zu lassen, Umwege zu nehmen und Ausflüge zu machen. Fünf Jahre in Folge war er zum «Autorenmarkt» im Stadttheater eingeladen wurden und bewegte sich daher schon sehr vertraut in der Stadt, kannte die Abkürzungen, Bootsanlegestellen am Neckar und die alte Bäckerei Burkhardt. Zum ersten Mal war er viele Jahre zuvor als Tourist in diese Stadt gekommen – mit dem Wagen seiner Eltern auf den Weg in den Süden. Damals, im ersten Sommer nachdem die Mauer gefallen war, hatte er das Gefühl, daß der «Süden» ab Heidelberg beginnen müsse und dachte, dieses Leben, wie er es hier, durch die sommerlichen Gassen schlendernd erlebte, gehöre eigentlich in ein anderes Land. Auf angenehme Weise fühlte er sich fremd und ahnte, daß dies wohl so bleiben würde, auch wenn die Stadt ihm vertraut wird.