«Unwählbar bleiben»

Begegnung mit Jonathan Meese
von Thomas Oberender

 

 

(…) Wie Jonathan Meese diese Perfomance gestaltet, zwischen Wut und Wundsein, Absencen und Furor, freundlicher Aufmerksamkeit und rabiatem Ausbruch, Witz und Stottern, uneitlem Flätzen und strengem Figursein, und dabei immer als ein Musketier seiner Majestät der Kunst, dem nichts Erbärmliches fremd ist, auch das Fröhliche nicht – all das erzeugt eine Atmosphäre, in der das Publikum nach der Provokation giert und ihr zugleich erliegt. Und der Innenraum von Meeses Welt ist von ausgesprochen suggestiver Präsenz und argumentativer Präzision, dass die Ausnahmewirklichkeit jener Performance als vollkommen plausible Möglichkeit des Daseins erscheint – folgerichtig auch in ihrer demokratieanklagenden Konsequenz. Und so schlägt die Heiterkeit des Publikums gegen Ende der Performance auch bei dem einen oder anderen in handfesten Zorn um, denn was Jonathan Meese als Staatsbürger der Kunst äußert, darf er nicht als Staatsbürger dieses Landes meinen: dass die SPD im gleichen Sinne Partei sei, wie die NSDAP es war, und wir bei der Wahl unsere Stimme a b g e b e n und in eine U r n e werfen. Im Grunde sind dies Schmunzelpointen, aber zugleich auch die Abfallprodukte eines Abscheus, aus dem die Geburt seiner alternativen, präzise imaginierten Welt erfolgt. Und gerade der offen ausgelebte Zorn des Künstlers über die Paradoxie, diese Diktatur der Kunst nur als Kunst verwirklichen zu können, aber doch das Lebensganze zu meinen und verändern zu wollen, lässt ihn diese Grenze zwischen Kunst und Leben immer wieder einreißen und sein Kunstwerk so demonstrativ vorleben. Wobei im Nachhinein schwer zu entscheiden wäre, was an Jonathan Meese mehr Figur ist – der freundliche Sohn seiner Mutter hinter der Bühne, oder jener d’Artangan der Kunst auf ihr, der die «Weltdiktatur der Demokratie» stürzen und der «ekelhaften Ich-Rasse» die Leviten lesen will.