Über meine kuratorische Arbeit

 

Philippe Parrenos Ausstellung «ANYWHERE, ANYWHERE OUT OF THE WORLD» 2013 im Palais de Tokyo veränderte meine Vorstellung von dem, was Ausstellungen sein können, grundlegend. Parrenos Praxis, eine Ausstellung ohne Objekte zu einer Ausstellung als Objekt zu verwandeln, hat meinen Blick auf die Arbeit bildender Künstler und Künstlerinnen und mein Verständnis der Rolle von Institutionen als Produzenten in eine neue Richtung gelenkt. Dies führte zu einem andersartigen Verständnis dessen, was Besucher und Besucherinnen in Ausstellungen erleben können. Insofern war meine Zusammenarbeit mit Philippe Parreno 2018 in dem Projekt «Rückblick auf eine zukünftige Ausstellung» im Martin Gropius Bau eine wegweisende Erfahrung für mich als Kurator. 

Seit den 2000er Jahren arbeite ich mit bildenden Künstlern und Künstlerinnen in verschiedensten Zusammenhängen. Durch meine Herkunft als Theaterautor und Dramaturg war mein Blick auf die «Kunstwelt» eng mit Fragen der Repräsentation, spezifischer Räume und zeitbasierter Strukturen geprägt. 2004 rückte ich so durch einen unverhofften Fund die bis dahin weitestgehend unbekannte, kolorierte Tuschzeichnung von Emilia Kolewas aus dem Jahr 1984 in den Mittelpunkt eines Symposiums, das Heiner Müllers Text «Bildbeschreibung» gewidmet war, der von diesem Bild inspiriert wurde.  

Einige Jahre später entwickelte ich in der Bochumer Jahrhunderthalle große szenische Environments für die Literaturprogramme «Die Wiederherrichtung des Himmels» und die «Schule der Romantik» der Ruhrtriennale, zu deren Programm ich Tim Eitel und Harun Farocki einlud. Bei den Salzburger Festspiele initiierte ich 2007 die erste Ausstellung von Tacita Deans Serie «Die Regimentstochter» im Salzburger Landestheater und Thomas Demands Präsentation des Animationsfilms «Rain» und seiner «Embassy»-Serie im Haus für Mozart, die durch meine Einladung des Schriftstellers Jeffrey Euginidis als «Dichter zu Gast» entstanden sind.

Bei den Berliner Festspielen initiierte ich verschiedene Ausstellungen im Martin Gropius Bau, darunter die «David Bowie is» Show aus dem Victoria and Albert Museum (V&A), vor allem aber entstanden eine Reihe von kunstbezogenen Projekten in den von mir konzipierten Programmen «Immersion» (2016-2021) und «The New Infinity» (2017-2021). 

Im Rahmen der Reihe «Immersion» entstanden neben den Solo-Ausstellungen von Philippe Parreno, Ed Atkins, Omer Fast und Tino Sehgal vor allem komplexe, zeitbasierte Ausstellungsformate, die klassische Präsentation von bildnerischen Werken, Skulpturen, VR-Präsentationen und Filmen zeitgleich mit Performances, Workshops und Diskursräumen verbunden haben und so für die Ausstellungsbesucherinnen eine Erfahrung zwischen visuellem Parcours und permanentem Festival erzeugten. 

Das Format der Ausstellung wurde in diesen Projekten selbst als eine künstlerische Struktur verstanden, die zeitbasiert ist, jede Stunde und jeden Tag ihre Form, Angebote und Atmosphäre ändert und eher im Sinner einer Ökologie gedacht und kuratiert wird. Das Format der Ausstellung wird hier nicht als eine Präsentation von Objekten verstanden, sondern als lebendiger Organismus. Das Konzept und die Projekte wurden dem Buch «Die lebendige Ausstellung» von verschiedenen Kunstwissenschaftlern, Kuratoren und Autoren beschrieben.

Zu den hybriden Ausstellungs- und Liveprojekten zählen «Schule der Distanz», «Limits of Knowing», «Into Worlds», «Palast der Republik» und «The Sun Machine Is Coming Down» Berliner ICC, die in großen kuratorischen Teams entstanden. 

2018 kuratierte ich gemeinsam mit Tino Sehgal und Annika Kuhlmann das zeitbasierte und die Geschichte der immersiver Kunstwerke erforschende Ausstellungsprojekt «Welt ohne Außen» und 2020 zum Thema Klimawandel die Ausstellung und das unplugged-Programm «Down to Earth» zusammen mit Julia Badaljan, Jeroen Versteele, Anja Predeick und Tino Sehgal.  

Die Idee der Reihe «The New Infinity» entstand durch die Beobachtung, dass die seit 1924 gebauten Planetarien eine inzwischen globale Struktur immersiver Räume geschaffen haben, deren Architektur ein kollektives Eintauchen der Besucher und Besucherinnen in bewegte Bildwelten ermöglicht. Planetarien werden heute zwar noch immer vorrangig zur Wissensvermittlung genutzt, zugleich verfügen sie aber über die avanciertest Projektions- und Soundtechnologien für raumbasierte Künste und die größten Bildflächen überhaupt. So entstand der Gedanke, diese Orte für Künstler und Künstlerinnen des digitalen Zeitalters zu öffnen und sie als «Galerie der Zukunft» zu bespielen. Zwischen 2017 und 2021 entstanden fast dreißig Auftragswerke an zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler, Komponistinnen und Komponisten oder Gamedesigner und -designerinnen, die in verschiedensten Planetarien weltweit gezeigt wurden. Die Produktion der Werke entstand in Zusammenarbeit mit dem Planetarium Hamburg unter der Leitung von Thomas Kraupe und dem Zeiss Grossplanetarium Berlin unter der Leitung von Tim Florian Horn. Zum kuratorischen Team der Reihe gehörten Marie Kristin Meier, Adrian Waschmann und Sebastian Häger. 

Neben meiner kuratorischen Arbeit schreibe ich über bildende Künstler und Künstlerinnen, darunter Texte und Interviews mit Thomas Demand, Philippe Parreno, Anne Imhoff, Ed Atkins, Stefan Balkenhol, Christiane Baumgarten, Tomás Saraceno, Brian Eno, Tacita Dean oder Fatmir Mustafa Karllo, dessen Ausstellung «Strange Seeds» ich 2023 für die Nationalgalerie in Pristina kuratierte.  

Philippe Parrenos «Erinnerung an eine Ausstellung» wurde 2018 in London zur «Exhibition of the Year» gewählt. 

Die Ausstellung «Down to Earth» erhielt 2021 in New York einen der «Segal center awards for civic engagement in the arts».