«Rezente Wesen»
Zur Geste des Kniens im Werk von Stephan Balkenhol
von Thomas Oberender
Es gibt wenige Gesten des menschlichen Körpers, die so von Ambivalenzen durchdrungen sind wie die des Kniens. Nichts wirkt stolzer und nichts demütiger als ein Mensch auf seinen Knien. Jemanden «in die Knie zwingen» heißt umgangssprachlich ihn um seinen «Stand» bringen. Auf ihre Knie lässt Schiller Maria Stuart vor Königin Elisabeth sinken und diese hält dies für angemessen. Knien heißt kapitulieren. Knien heißt seine Macht in andere Hände legen. Wer kniet, will sein Gegenüber ganz offensichtlich verpflichten. Man hält auf Knien um die Hand einer Frau an. Man kniet, um zu gewinnen. Um Gnade wird vorm Herrscher auf Knien gefleht. Auch Gott wird auf Knien angerufen und die letzten Meter zur Heiligen Stätte gehen pilgernde Gläubige noch immer auf den Knien. Heilige Berge werden in Tibet auf Knien umrundet in komplizierten Zeremonien des Niederwerfens, sich Aufrichtens und erneuten Verbeugens – immer bedeutet knien zugleich Näherkommen, Annäherung, Kontakt.
Wer kniet, gibt seine Unterwerfung kund. Aber auch etwas Forderndes ist mit dem Knien verbunden. Auf die Knie zu gehen heißt, den Anderen in Zugzwang zu versetzen, ihn auf eine Rolle und Handlung fest zu legen. Der Kniende verwandelt sich in den Augen seines Gegenübers zum Schutzbefohlenen und verschafft sich ein Moratorium und die Neubetrachtung seines Falls. Aber auch jede Anbetung ist ein Vorgang auf Knien. Das Niedersinken vor der höheren Gewalt ist so alt wie die Menschheit. Jeder sucht sein Heil vor ihr. Macht wird auf Knien anerkannt und auch ein wenig herbeigebeten oder gebetet auf den Knien der Hingabe und Anerkenntnis ihrer Herrlichkeit. Nur so ist ein «Ritterschlag» denkbar. Er kann allein demjenigen gelten, der sein Haupt senkt und die Größe der ihn weihenden Autorität anerkennt.
Als Skulptur ist der Kniende eine Unfigur, etwas ohne Genealogie, anders als die Urtypen des Sitzenden und Stehenden: Eine seltsame Figur. Vom Schreitenden ist er am weitesten entfernt; zu knien heißt nicht zu fliehen. Knien heißt sein Schicksal empfangen. Der Priester steht, der Gott sitzt – der Kniende ist entweder stolz oder gebrochen, also nicht statuenwürdig. Die Kriegerdenkmäler zeigen höchstens Helden, die mal eben mit einem Knie am Boden stehen. Meist sind es trauernde Männer, bewaffnet und keinesfalls lange gefangen im Moment ihrer Andacht. Ganz anders war dies Willy Brandt und seinem Kniefall in Warschau. Wenn die Legende stimmt, so geschah er spontan. Zum weltweit berühmten Zeichen wurde seine Geste aber vielleicht auch, weil seine Bitte um Vergebung zugleich auch eine des Stolzes war. Brandts Kniefall war der eines charismatischen Mannes, der Kämpfer im Widerstand war, der mehr Demokratie wagen wollte und dieser Kniefall erlaubte es, dass ein ganzes Volk sich innerlich erhebt, wieder aufrichtet, den Kopf hoch nimmt, weil er ihn gesenkt hat. Und es war nicht ein Volk, es waren mehrere: Brandts Kniefall galt den Gegnern von einst und ehrte die Opfer. Zu knien heißt auch, etwas auf sich zu nehmen. Heißt, auf die eigene Kraft zu vertrauen. Heißt letztlich, sich für andere zu nehmen und Stellvertreter sein. Wer kniet, ist nie allein. Denn er kniet öffentlich. Und zweitens wendet sich der Kniende direkt an die Macht und ist also selber wer.
«Wer wen» heißt die Grundfrage unter Schauspielern – wer führt wen? Diese Führerschaft ständig neu zu ermitteln, weil sie fluide ist, weil sie die Positionen wechselt, je nach dem wer gerade einen Vorteil erlangt, ist das, was Menschen ins Spiel bringt bzw. das Wesen, die Essenz des Spiels. Denn zu spielen heißt auszuprobieren, wo die eigenen Freiheitsgrade liegen, geringe Vorteile zu nutzen und sich unabhängig zu machen. Wo die Verhältnisse eng und unbeweglich werden, haben sie kein «Spiel» mehr, sie fahren fest und erstarren. Dann geht nichts mehr. Sich zu unterwerfen kann ein gutes Mittel sein, um zu führen und wieder ins Spiel zu kommen. Wer sich unterwirft sagt dem anderen: Jetzt bist du dran.
Stephan Balkenhols Figuren tragen Pokerfaces. Da ihre Gesichtszüge grob herausgeschnitten sind aus dem Holz, genauso wie ihr Körper als Ganzes, erzeugen sie, zumal in der Abbildung, einen malerischen Effekt, denn sie besitzen eine zerfurchte, dynamische Oberfläche mit hellen und dunklen Zonen wie von fetten und impulsiven Pinselstrichen. So purifiziert ihre Kleidung und ihre Haltung wirkt, ist ihre rauhe Oberfläche eine schöne Erinnerung an ihr Abbildsein, an die Hand, die sie schuf. Im Grunde müssten diese undeutbar blickenden Figuren sich gar nicht auf die Knie begeben, um ihre beispiellos aggressive Defensivität zu entwickeln. Balkenhols Figuren warten, auch wenn sie stehen, tatenlos auf das was geschieht und blicken ihm ungerührt entgegen. Ihm, dem Schicksal, ihm, d.h. uns. Wir sind die, auf die sie schauen, die ihnen entgegen gehen, im wahrsten Sinne.
[…]