Sehr geehrte Damen und Herren,
es ist zwar nicht so, als würden Erinnerungsbilder an die DDR erst in diesem Jahr eine Rolle im Werk von Norbert Bisky spielen, aber diese Ausstellung, die anlässlich des dreißigsten Jubiläums der Maueröffnung an zwei Orten gleichzeitig entstand, führte bei diesem Maler, der heute ein Jahr älter ist als sein Vater zum Zeitpunkt der Maueröffnung, zu einer ungewöhnlichen Dichte der Erinnerung. Wir sehen uns umgeben von der Kristallisation eines Werkkomplexes, der sich dezidiert dieser Einstrahlung des Ostens in sein Schaffen widmet – an einem Ort, wo der Blick aus dem Fenster auf die Glienicker Brücke, die ein Symbol der deutschen Teilung war, die malerischen Bilder fortschreibt und in sie aufgenommen wurde, als seien sie in dieser Galerie gemalt worden.
Das Vergehen der Zeit bringt manchmal Dinge näher, statt sie uns zu entrücken. Mit den Erinnerungen an die DDR scheint es mir jedenfalls so zu sein. Angela Merkel hat hier in der Villa Schöningen vor zehn Jahren darauf hingewiesen, dass eine neue Bereitschaft zu erkennen sei, über das in der DDR und Wendezeit Erlebte zu sprechen und es weiter zu geben. Was damals zaghaft begann, hat heute zu einer Kultur des Erinnerns geführt, die weniger eine staatlich geförderte, als eine wild wuchernde Form des Sammelns und Sichtens von Zeitzeugenschaft geworden ist. Denken Sie an die kürzlich online gegangene DDR-Schmalfilmsammlung open memory box oder die Geschichten aus dem Interim der Leipziger Plattform Frei_raum, oder die Reihe Occupy History der Berliner Festspiele, die ich initiiert habe. Es sind alternative Formen des Erinnerns, die dem Großen Bild der Wiedervereinigung, das in den letzten Jahrzehnten vor allem von westdeutschen Journalisten und Experten geprägt wurde, andere, wenn man so möchte, native Perspektiven hinzufügen.
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Schauen wir uns den modus operandi der frischen Erinnerungs-Bilder von Norbert Bisky an. Sie sind bonbonsüße Apokalypsen, wie Johanna Di Blasi es beschrieb. Komponiert aus Brüchen, Schnipseln und Puzzleteilen des Erinnerns. Ihr Grundton ist von lichtem Blau und freundlich, und im Wirbel ihrer Elemente stehen diese jungen Männer im Vorwärtsgang, Figuren der Unschuld, wie sie sein Bruder Jens Bisky dies nannte. Diese Bilder gehen nicht auf das Private der Figuren zu, sondern zeigen stets eine Gestalt in einer Pose - sie ist, auch wenn sie beiläufig wirkt, bereits vorveröffentlicht, wie schon mal gesehen. In Biskys Gemälde wirken diese Figuren wie in die Komposition einer Stimmung versetzt, die durch sie wie von außen erlebt wird.
Ist nicht das unser Blick, unser Zustand, dreißig Jahre nach dem Satz: Das gilt, glaube ich, ab sofort. Dieses SOFORT ist in jedem Bild Biskys spürbar – seine Bilder antworten aufs Verwirbeln der alten Welt mit Posen des Pop, mit Männerkörpern, die auf den Wellen der Veränderung reiten. Norbert Bisky brauchte den Rat seines Lehrers Baselitz, sich mit seiner Ostvergangenheit zu beschäftigen, um sein inneres Kalifornien zu malen. Dieses, sein Kalifornien, erträumt in Marzahn, hat ihn berühmt gemacht. Es sieht nur idyllisch aus, aber ist es nicht.
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