«Die Gärten sind zurück»
Eine Ausstellung mit Arbeiten von bildenden Künstlern zum Thema Garten hat ihren besonderen Reiz, da Gärten nicht erst durch die Betrachtung der Künstler zu etwas Künstlerischem werden, sondern selbst bereits Kunst sind. Diese Kunst der gestalteten, Form gewordenen Natur macht den Garten zum Ort einer neuen Nachdenklichkeit, die sich stärker als bisher auch der Erfahrung öffnet, der Wichtigkeit unserer Empfindung. Gärten sind Werke eines ganzheitlichen Wirkens, das im wahrsten Sinne Fruchtbarkeit und Zukunft schafft. Und so entsteht – insbesondere und auf pilothafte Weise – bei Künstlerinnen und Künstlern ein reflektierter Blick auf den Garten als Sinnbild des Ganzen. In der Betrachtung des Gartens als Vexierbild zwischen Kunst und Natur reflektiert die zeitgenössische Kunst sich unweigerlich selbst. In der Auseinandersetzung mit dem Garten thematisiert sie ihr Einbezogensein in eine kollektive Praxis und Geschichte, die politisch, aggressiv und zugleich schöpferisch und transzendent ist.
Je bedrohter die Natur ist – durch Klimawandel, die Verschmutzung der Meere und Versteppung ganzer Regionen, durch die Biopiraterie und die side effects der kolonialen Verschleppung unzähliger Arten und Spezies – um so symbolischer werden diese kleinen Flecken des von Menschen gepflanzten Lebens. Denn Gärten sind gepflanzte Ideen und Kunst mit den Mitteln der Natur. Sie lassen sich, wie Hans von Trotha sagt, lesen, sie sind Konzepte und Erfahrungsräume in einem. Früher wurden Gärten durch Einhegungen der Natur abgerungen, und heute sind sie umgeben und bedroht von der Stadt.
Vielleicht ist das globale Bedrohtsein unserer Biosphäre der Grund für die Renaissance des Gartengedankens und der gärtnerischen Praxis. Mit dem Urban Gardening entstand –erstmals nach einem langen 20. Jahrhundert der Naturzerstörung – eine neue Gartenbewegung und zugleich eine ihrem Wesen nach wilde, widerständige und aktivistische Praxis, die eine Form von Notwehr gegen die Verödung sich verdichtender Städte, ihre schädlichen Umwelteinflüsse und die ausgepressten Tagesläufe ihrer Bewohner darstellt. Speziell die eigentumslose Form Gartenkunst des urban gardening, die mit der aktivistischen «Beschlagnahmung» des öffentlichen Grunds für die Pflanzung von Leben ist, verdeutlicht, dass Gärten nicht nur eine Art von heilendem Eskapismus darstellen, sondern immer auch Spiegel unserer Gesellschaft sind und die Grundfragen unserer Zeit stellen: Nach Eigentum, nach Gemeinschaft, Öffentlichkeit, einem Weltbild, das Alternativen zu Ökonomisierung unserer sozialen Beziehungen und Marktmacht sucht.
Wenn ich an Gärten denke, dann an Hypertechnologien wie die Grande Arche-Projekte der NASA, die mich als Teenager faszinierten, weil sie mit den Science Fiction ernst machten und geschlossene Welten schufen, die ein paar Astronauten auf ihrer Reise durchs All versorgen. Und das nicht als eine Geste der Weltflucht, wie dies heute der Fall ist, wenn die Superreichen sich Inseln kaufen, kleine Gärten Eden, auf denen sie die Apokalypse überstehen und uns, den Rest, ruhig sich selbst überlassen können, weil bei denen, also uns, eh nichts mehr zu retten ist.
Vor wenigen Tagen sah ich in einem obskuren Museum in Los Angeles ein Modell des Gartens Eden, wie er in der Bibel beschrieben wird. Das in der Art einer Modelleisenbahnlandschaft angelegte Diorama zeigte ihn als quadratischen Garten, eingefasst von einer Mauer – keine Oase der Reichen, sondern das Bild jenes Urgartens der Menschheit, in dem es noch keine Sünde gab. Es stand nur wenige Räume hinter einer Vitrine, die am Eingang des Museums das Holzmodell der Arche Noah zeigte. Diese Modelle sind Anschauungsobjekte der heute fast vergessenen Geschichte des Volksglaubens und experimentellen Spiritismus, denen dieses Museum for Jurassic Technologieseine Art Tempel baut.
Sein größter Raum ist dem «Garden Eden on Wheels» gewidmet. Er zeigt in schummrig beleuchteten Schaukästen Alltagsobjekte aus den Mobilen Häusern und Trailer Parks von Los Angeles - historischen Interieurs aus den Urtypen des Wohnwagens, wie er in den 20er und 30er Jahren in den USA entwickelt wurde. Für ihre Besitzer waren sie fahrbare «Archen» des familiären Lebens: «Go anywhere, stop anywhere, escape taxes and rent - this is irreversible.», zitierte ein Wandtext eine anonyme Parole der «Aussteiger» jener Jahre. Vielleicht ist diese frühe Aussteigerbewegung die radikalste Gartenidee des 20. Jahrhunderts, denn sie akzeptiert und errichtet keine Mauer mehr, sie bleibt ortlos, ihr Zuhause ist überall. Anders noch als die einstigen Pioniere, die zwei Generationen vor ihnen nach Westen zogen, um sesshaft zu werden, brachen Menschen nun mit ihren selbstgebauten Wohnmobilen auf, um den Staat hinter sich zu lassen und unterwegs zu bleiben: Das ganze Land ist ihr Garten Eden.
Wie Hans von Trotha bemerkt hat, ist der Garten heute vor allem ein Ort der Rettung, an dem Pflanzen überleben und auch Menschen Schutz finden. Die Welt in Ruhe lassen - das ist vielleicht das Bild des Gärtners von heute und eng verbunden mit dem ökologische Umdenken, dass die Schriften von Bruno Latour oder Donna Harraway, aber auch Bewegungen wie Friday’s for Future bewirkt haben. Wir leben heute nicht mehr in der Natur, sondern mit ihr. Daran denke ich, wenn ich an Gärten in unserer Zeit denke: Ich denke an eine jüngere Generation als meine, für die sich die Umweltbewegung nicht mehr nur um eine gesunde Natur kümmert, sondern eine planetarische Sichtweise entwickelt - unser Aufenthalt auf dieser Erde ist zu toxisch geworden und zwingt uns, ein terrestrisches Bewusstsein zu entwickeln, das auf etwas Drittes gerichtet ist, dem das Gärtnerische unter allen Kunstformen vielleicht am nächsten kommt.
Für James P. Carse war der Garten das Gegenteil des Technischen, da es dynamische Umwelten schafft und einen endlosen Prozess in Gang setzt. Gärten, sagt Carse, gestalten eine Kultur, die sich «allen möglichen Überraschungen in der Natur anzupassen vermag». Denn im Garten hört das Leben nicht einfach auf, wenn das Benzin alle ist. «Gärtner achten genauestens auf die grundlegenden Strukturen der natürlichen Ordnung, aber sie wissen auch, dass es immer vieles geben wird, das ihrem Blick entzogen ist. Gärtnern ist eine auf den Horizont bezogene Aktivität.» («Endliche und unendliche Spiele», S. 114) Gärten, so beschreibt es der Künstler Hirchan Barada, sind das Gegenteil von Maschinen – sie verbrennen keine Energie, sondern ihr Wachstum nimmt die Energie der Sonne auf und verwandelt sie in Materie. Während Maschinen Energie verbrauchen, um zu funktionieren, sind Gärten jene Orte, die Energie spenden. Um beides muss sich der Mensch kümmern, aber während der Mensch die Maschine versorgt, nährt der Garten ihn.
Gärten sind die sinnbildlichen Orte eines Weltbildwandels, der nach anderen Formen von «Wachstum» sucht und sie interessieren mich künstlerisch, weil sie als Kunstwerk und von Menschen geschaffene Ökologie vom ständigen Wachsen und Wandel geprägt sind. Sie werden so zur Metapher für eine Form von Werk, in die man eintritt. Gärten sind Begegnungsorte - mit der Natur, aber vor allem auch mit Ideen, mit sich selbst und der Erfahrung, wortwörtlich im Freien zu sein. David E. Cooper hat in A philosophy of Gardensauf die Ähnlichkeiten zwischen «Gartenwelt» und «Kunstwelt» hingewiesen – auf ein ähnliches Personal an Kreativen, Handwerkern, Philosophen und Genießenden, die beide Welten prägen und darauf, dass der Garten weder ein Ort der Natur noch ein Ort der Kunst ist, sondern die Membran zwischen beidem, ihr Umschlagort.
Wenn ich an Gärten denke, dann denke ich an Peter Handkes Bild eines verwilderten Gartens in seinem Stück Die schönen Tage von Aranchuez, das ja schon im Titel auf eine der schönsten Gartenszenen der deutschen Dramengeschichte anspielt, die in SchillersDon Charlosden Auftakt bildet. Bei Handke haben sich die Nutzpflanzen aus dem königlichen Garten, der eigentlich eher ein Park ist, nach Jahrhunderten hinüber in die Natur ausgewildert. Wenn ich an Gärten denke, dann an diese unscharf werdende Grenze zwischen Natur und Kunst, an diese Besonderheit, einen Garten nurmittendrinwirklich erleben zu können, mit allen Sinnen, mehr Sinnen jedenfalls, als die meisten anderen Kunstwerke ansprechen. Die Bäume des Berliner Tiergartens, die am Ende des zweiten Weltkrieges gefällt und verheizt wurden, und an deren Stelle Gemüsegärten entstanden sind, sind inzwischen wieder zu einem vielgestaltigen Landschaftsgarten herangewachsen.
Im 20. Jahrhundert musste das «Kunstwerk Garten» in Europa vielerorts einfach nur überleben - zwei Weltkriege, die rabiaten Stadtreformen des Wiederaufbaus, die Industrialisierung der Landwirtschaft, das zur-Last-werden der alten Bauerngärten. Jetzt aber, mit der Jahrtausendwende, wird der Garten zum Kunstwerk der Stunde - was er tatsächlich immer war: Eine Pflanzung von Leben, das es mit der Unendlichkeit und Spontaneität rund um sie herum aufnimmt, sich von ihr abgrenzt, sie leugnet, nachformt, rettet.
Gärten schaffen Inszenierungen, deren Material, wenn man es so nennen möchte, das Leben selbst ist - lebende Pflanzen, Elemente wie Wasser und Erde, sie beziehen sich auf die Sonne und Ressourcen, die unter der Hand der Gartenplaner zur Erzählung werden. Im Garten wird die Natur Theater. Auch wenn nichts oder fast nichts an den Elementen der Gartenkunst künstlich ist, sondern lebende Pflanzen und Spezies, ist im Garten alles Kunst, alles gemacht, auf eine Wirkung und einen Nutzen hin entworfen.
Wenn ich also an Gärten denke, dann danke ich vor allem Stephanie Rosenthal und Clara Meister für ihren Instinkt, der Neugier der Künstler und Künstlerinnen zu folgen, die weltweit in den vergangenen Jahren wieder vermehrt mit Pflanzen arbeiten, Erfahrungen sammeln, sie Koexistenzen begreifen, Wesen mit eigener Kraft und mit ihnen zu kommunizieren lernen. Die Ausstellung «Garten der himmlischen Freuden» vereint viele zeitgenössische Positionen - ich freue mich über bekannte und neu zu entdeckende Künstlerinnen und Künstler, insbesondere über ein Wiedersehen mit Isabel Lewis, in deren philosophischen, olphaktorischen, tänzerischen und musikalischen Garten, wie sie ihn gelegentlich aufbaut, ich vor einigen Jahren in Kreuzberg sitzen und lauschen durfte und viel zu verstehen begann von dieser neuen Zeit und ihren Kunstformen, die eben - wie jeder Garten - Welten ohne außen schaffen. Möge diese Ausstellung mit jedem Tag wachsen, und das ist in diesem Falle nicht nur eine Metapher.