«Das Spiel der Reichsbürger*innen»

Sie wollen eine «Theaterrepublik» gründen und halten die Republik für Theater.

Lieber Arne Vogelgesang, die «Reichsbürger» bauen in der politischen und sozialen Realität unseres Landes offensichtlich reale «Inseln» einer völlig anderen Welt. Was ist die Idee dahinter?

Arne Vogelgesang: Die Idee, dass die BRD eigentlich gar kein Staat ist, sondern das Deutsche Reich fortexistiert, kommt tatsächlich aus der harten nationalsozialistischen Szene. Das war der Versuch, nach der Gründung der BRD diesen Staat und sein Grundgesetz zu delegitimieren – noch vor der Zeit des Internets. Manfred Roeder oder Horst Mahler und das «Deutsche Kolleg» in Würzburg, ein neonazistischer Think Tank, waren einige der Figuren und Player, die das mitentwickelt haben.

Thomas Oberender: Horst Mahler war der Anwalt von Rainer Langhans und Fritz Teufel von der «Kommune 1» und danach auch von der RAF. Ein Linksextremist, später Holocaust- Leugner.

AV: Ja, das waren stramme Nazi-Akademiker und irgendwie ist die Reichsbürger*innen-Ideologie von da diffundiert und hat seither seltsame, fast travestierende Formen angenommen. So haben Leute angefangen, sich als Reichskanzler auszurufen, sich fiktive Adler-Orden anzuhängen und zu sagen: «Ich gründe einen neuen Staat.» Das Interessante an der Szene ist für mich, dass sie einen wahnsinnigen Glauben an und Vertrauen in Sprechakte hat. Was Liebknecht oder Scheidemann konnten, das kann sich doch jeder herausnehmen. Vielleicht stelle ich mich auch einfach mal ans Fenster und rufe etwas aus. Aber der Glaube, dass das dann auch wirklich so ist und es nicht etwa noch eine Mehrheit von Menschen geben müsste, die das akzeptieren, und vielleicht noch ein paar Freikorps, die es durchsetzen – das ist halt das Spezielle an diesen Leuten. Deswegen findet man in der Szene der Reichsbürger*innen, zu der auch sogenannte «Selbstverwalter*innen» gehören, unglaublich viele Akte der Ausrufung, der performativen Erklärung von Wirklichkeit, was als solches eine sehr theatrale Handlung ist.

TO: Mit aller Vorsicht kann man sagen, dass Schlingensief zu Teilen auch so funktioniert hat.

AV: Ja. Ich glaube, dass es in der Kunst auch vor Schlingensief viele vergleichbare Aktionen gab, und das ist den Leuten, die so was in der rechten Szene machen, nicht unbedingt bewusst. Es gab in den 1990er Jahren auch diese Mode der Ausrufung von sogenannten «Mikronationen» oder Staatsfiktionen, siehe Neue Slowenische Kunst. In solchen Fällen war es künstlerische Praxis, einen exterritorialen Staat zu proklamieren, und die existierten dann ja auch relativ lange. Was immer «existieren» in diesem Zusammenhang bedeutet.