Der italienische Soziologe und Philosoph Maurizio Lazzarato betrachtet Schulden als ein Instrument neoliberaler Herrschaft. Ein Gespräch über ungleiche Machtverhältnisse, Wissensfabriken und Franz Kafka.

INTERVIEW: PASCAL JURT

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Im Hinblick auf die Krise in Griechenland sprechen deutsche Medien häufig nicht von einer Bankenkrise, sondern von einer Schuldenkrise, auch kursiert das Bild des »verschwenderischen Südeuropäers«, der seine Schulden nicht zahlen kann. Was hat Sie dazu bewogen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen?

Schulden sind ein Machtverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner, das mit der Krise der privaten Verschuldung in den USA und der Staatsschuldenkrise in Europa offensichtlich geworden ist. Es steht seit den achtziger Jahren im Zentrum kapitalistischer Organisationsweise, wurde aber fast nie als Machtbeziehung untersucht. Zusammen mit ihrer Kehrseite, den Krediten, standen Schulden im Zentrum neo­liberaler Strategie. Was als Liberalisierung der Wirtschaft bezeichnet wurde, war in erster Linie eine Liberalisierung der Kreditvergabe, des Kapitalverkehrs, in derem Zuge wirtschaftliche und politische Maßnahmen zu Ungunsten des Schuldners ausgeweitet wurden. Was wir bei der Krise der Staatsschulden beobachten können, ist die Ausbeutung der Schuldner durch die Gläubiger.