«Erst jenseits des Grundgesetzes hört die Debatte auf»

Interview von Stefan Braun

Der Streit um den BDS-Beschluss des Bundestags schlägt erneut hohe Wellen, seitdem zahlreiche Kulturschaffende und Künstler mit der Initiative «GG 5.3 Weltoffenheit» ein Umdenken gefordert haben. Sie erhalten nun Unterstützung aus dem Bundestag. Der wissenschaftliche Dienst des Parlaments stellt in einem Gutachten fest, dass der Beschluss keine Grundlage für tatsächliche Maßnahmen von Behörden sein kann. Der Intendant der Berliner Festspiele, Thomas Oberender, begrüßt das - und hofft auf eine Versachlichung der Debatte. Und das umso mehr, da aus seiner Sicht ein Ziel alle eint: Antisemitismus zu bekämpfen.

SZ: Herr Oberender, wie erleben Sie die Debatte um den BDS-Beschluss seit der Veröffentlichung Ihrer Initiative GG 5.3? 

Thomas Oberender: Es hat lange gedauert, bis über die Sache unseres Plädoyers selbst gesprochen wurde und wir jene Vorverurteilung und negative Affektwelle überstanden hatten, die einem entgegenschlägt, wenn der BDS-Beschluss hinterfragt wird. Wir haben in unseren Statements gesagt, dass wir die politischen Intentionen teilen, die im Parlament zum BDS-Beschluss geführt haben, dass auch wir aktiv gegen Antisemitismus vorgehen, keine BDS-Unterstützer sind und das Grundgesetz unser Handeln leitet. Alles Dinge, die uns mit Menschen wie dem Antisemitismusbeauftragten Felix Klein oder dem Journalisten Alan Posener verbinden. Aber angesichts der klandestinen Folgen dieses Beschlusses sind wir dafür, ihn zu überdenken.

Was meinen Sie mit «klandestinen Folgen»?

Der Beschluss führt in der Praxis zur Ausladung von Künstlern und Wissenschaftlern, die hier seit vielen Jahren gearbeitet haben, ohne dass ihre Arbeit gegen die Werte unseres Grundgesetzes verstößt. Preisverleihungen wurden rückgängig gemacht, der Philosoph Achille Mbembe so beschädigt, dass er nie wieder in Deutschland auftreten möchte. 800 afrikanische Intellektuelle haben eine Entschuldigung von der Bundesregierung gefordert, wir haben nie darauf reagiert, das versickert einfach. Der erste Affekt, der uns als Teilnehmer der Weltoffenheitsinitiative von außen traf, war immer der eines unterstellten Tabubruchs. Als wollten wir die besondere Treue Deutschlands gegenüber dem Staat Israel aufkündigen. Was nicht der Fall ist, aber reflexartig behauptet wird.

Wie erklären Sie sich diesen Reflex?