«Das ICC - eine Erlebnis-Maschine»
Stella Roos (Monocle) und Thomas Oberender im Gespräch über das Kunstprojekt «The Sun Machine Is Coming Down» (2021)

Stella Roos: War das ICC schon immer ein Raum, den Sie im Hinterkopf hatten,um hier einmal eine Ausstellung zu machen?
Thomas Oberender: Auf keinen Fall. Es ist zu groß, es ist schon zu lange nicht mehr in Betrieb, und es gibt eine sehr komplizierte politische Debatte über die Situation. Das letzte Mal, dass ich von dem Gebäude gehört habe, war 2015, als hier für einige Zeit syrische Flüchtlinge lebten. Inzwischen aber gibt es eine ganze Generation von Berliner*innen, die das Gebäude nie betreten hat. Es gibt viele Menschen in der Stadt, die die Architektur von außen nicht sondelich mögen und in ihm nur diesen verrückten alten Aluminiumcontainer sehen. Aber die meisten Leute mögen ihn, sobald sie erst einmal drinnen sind. Und mir gefällt das Gebäude auch von außen.
SR: War es sehr schwierig, die Genehmigung für diese Ausstellung zu bekommen?
TO: Ehrlich gesagt nicht. Ich denke, die Zeiten ändern sich gerade. Die schwierige Zeit für das Gebäude begann sicher 1989, mit der Öffnung der Mauer, die diesen Standort und Symbolarchitektur über Nacht unattraktiv machte. Die ganze Aufmerksamkeit richtete sich plötzlich auf den Osten im historischen Zentrum des Vorkriegsberlin. Die Situation war nach 1989 wieder viel internationaler als zuvor, so dass die Idee, dass dieses Gebäude der Inkubator für die eingeschlossene West-Berliner Wirtschaft sein soll, das mit seinen vielen Sälen viel Publikum und Ereignisse in die Stadt bringt sollte, und in West-Berlin die Veranstaltungswirtschaft anzukurbeln hilft, dieser Gründungsauftrag war nicht mehr notwendig, denn die ganze Welt pilgerte nach Berlin und machte hier Party. Das alte Konzept der riesigen Megastrukturen war plötzlich überholt. Es gab auch ein Problem mit dem, was man oder was sich in einem solchen Gebäude repräsentiert: Welche Art von Veranstaltung hat die Kraft, eine Halle mit 1000 Plätzen zu füllen? Und welche Art von Kraft oder Kultur braucht solche Orte? Sie muss angesichts der Dimensionen dieses Ortes zwangsläufig sehr repräsentativ sein. Es gab hier deshalb viele Kongresse der Kirche, von Parteien, aber solche Mega-Treffen haben nie ein menschliches Maß, es ist ein politisches Ereignis im XL-Format. Natürlich gibt es diese altmodische Art, Empfänge und Feste für Tausende von Menschen zu veranstalten, die sich schick machen und im Glanz des Ortes spiegeln wollen, aber auch das tun wir nicht mehr im ICC. Und so fiel das Gebäude in einen tiefen Schlaf, aber vielleicht schlief auch nur das Publikum. In den letzten Jahren haben der Neoliberalismus und Gentrifizierung in Berlin dazu geführt, dass das Wohnen und Leben in dieser Stadt schnell immer teurer geworden ist und der Luxus von öffentlichen Plätzen, die wie das ICC von der Stadt offen gehalten wurden und für alle mit Angeboten bespielt worden sind, langsam immer seltener wurde. Einer der größten Freiräume für Veranstalter war dieses Gebäude. Und in Corona-Zeiten brauchen wir eben ganz besonders große Räume. Und zugleich neue Konzepte, um sie wieder erschwinglich und nutzbar zu machen. Der ehemalige Westen wird zudem  immer interessanter. Die Menschen sind neugieriger auf das, was vom alten Westen übrig geblieben ist, weil der alte Osten so sehr zerstört wurde.