«The Cool and the Cold»
Malerei aus den USA und der UdSSR zwischen 1960 und 1990
Dankesrede anlässlich der Ausstellungseröffnung im Gropius Bau 2021 und Abschiedsrede als Festspielintendant.
Liebe Vertreterinnen der Sammlung Ludwig, liebe Kolleginnen vom Haus, liebe Brigitte Franzen, die diese Ausstellung kuratiert hat, liebe Gäste,
der in dieser Ausstellung abgebildete Zeitraum von 30 Jahren entspricht dem zwischen der Öffnung der Mauer und heute.
Wir leben und sehen diese Ausstellung sozusagen «im nächsten Kapitel».
Es war die Zeit der Kubakrise 1962, Tauwetters in der SU nach dem Tod Stalins, die Chrustschow-Zeit, die Zeit des Wettrüstens und der Wettrennen im Erobern des Weltalls und der Antarktis, die Breschnew Zeit, die Perestroika. Der in der Ausstellung abgebildetes Zeitraum war im Westen geprägt von den vermeintlich lässigen Jahren der Kennedys, später von Ronald Reagans Versuch, den Ostblock zu Tode zu rüsten, und Gorbatschows Antwort mit einem Austritt aus diesem Spiel, dem Versuch, den Sozialismus zu liberalisieren, den Ostblock aufzutauen, was in den friedlichen Revolutionen mündete, in die Öffnung der Mauer und das vermeintliche Ende der Geschichte. Diese Epoche spielte sich direkt vor der Haustür des Gropiusbau ab - Nordeingang war vermauert und grenzte vierzig Jahre an den Todesstreifen.
Die Bilder dieser Ausstellung sind die Bilder unserer Geschichte. Unserer Nachkriegseschichte, wie sie entstanden ist durch die Einstrahlung dieser Großmächte. Es sind letztlich Bilder einer Supermacht hier und einer dort - gesehen durch den neugierigen und klugen Blick eines Sammlerpaars, das mehr sah als die Ikonen des Kunstmarkts. Wie der wunderbare Kurator Eckart Gillen in seiner Betrachtung der Künstler*innen der ehemaligen DDR immer von Künstler*innen bestimmter Landschaften spricht - von Sachsen, Mecklenburg, die mindestens so sehr in den Maltraditionen einer Dresdner Schule oder der Norddeutschen Malerei verankert waren als in der Staatskunst Ostdeutschlands, so zeigt uns diese von Brigitte Franzen kuratierte Ausstellung eben auch die Ludwigs und ihre Sammlungspolitik, ihre weitsichtige, unabhängige Kuratorenschaft im Ankauf.
Sie suchten und sammelten die diversen «Landschaften» innerhalb der sowjetischen Kunstszene - ihre Stile und regionalen Prägungen, ihr soziales Hinterland, wie Ethnologen bereisten sie nicht nur die Museen und Ateliers, sondern im wahrsten Sinne die Lebensräume der Künstler*innen. Und wie echte Unternehmer interessierte sie der Schatz an Differenz - in der Sowjetunion übrigens genauso wie in der Betrachtung der malerischen Welten der USA.
Bald nach der Öffnung der Mauer verschwand die Sowjetunion, deren Bilder Peter Ludwig gesammelt hatte. Und beginnt ihre Geschichte.
Nach der Liebe beginnt ihre Geschichte, heißt ein Theaterstück von B. Strauß.
Nach der Öffnung der Mauer wurde der Kalte Krieg Geschichte, sollte man meinen.
Man sollte meinen, mit dem Untergang der Sowjetunion war der Nachkrieg vorbei, aber so ist es nicht. Nach einer Phase der Demokratisierungseuphorie nach den Revolutionen in Ungarn und Polen, Rumänien, der Tschecheslowakei und Rumänien erlebten wir eine Rückkehr des Autoritarismus, eine tiefe Kränkung des Ostens durch das Übernahmegebaren Westen in der postrevotionären Zeit - die Biografie von Victor Orban steht dafür exemplarisch. Insofern sind auch die jüngsten 30 Jahre eine Zeit voller Wechsel, Tauwetter und neuen Verhärtungen.
Eigentliche Frage der Ausstellung lautet für mich:
Wann endete der Kalte Krieg?
Wann endete die Epoche der binären Logik des Kampfs zwischen hier und drüben, wir oder die anderen? Einer Konkurrenz von Systemen im direkten Gegensinn, die sich so natürlich selbst stabilisierten, aber in diesem Gleichgewicht des Schreckens leider das Bewusstsein fürs Ganze verloren, für Gaia, das uns vielfach Verbundene.
Schon Ende der achtziger Jahre schien es im Westen so, dass die Kunst Osteuropas eine sei, die mittelfristig gebannt ist ins Nachholen, wie es Botho Strauß über die Theaterkunst des Ostens schrieb, nachdem die Mauer geöffnet wurde. In allem was aus dem Osten kam, sah er die Radikalismen und Revolutionen seiner Jugendlich einmal durchgespielt von den Freigelassenen von drüben? Im Osten nichts Neues?
Solange wir die Ordnung der westlichen Abstraktion und des östlichen (sozialistischen) Realismus weitererzählen, wofür es natürlich interessante Gründe gibt, wird der Kalte Krieg nicht enden. Etwas über die Gründe dieser Perspektive hat die Ausstellung «Parapolitik - Kulturelle Freiheit und Kalter Krieg» im Haus der Kulturen der Welt vor drei Jahren gezeigt. Eine Ausstellung, die verblüffender Weise die wirkmächtige Rolle der CIA bei der Durchsetzung einer scheinbar «universellen» Sprache der Moderne in Literatur, Musik und Kunst - in dieser vielleicht größten Geheimdienstaktion des Nachkriegs wurde die westliche, abstrakte Kunst und Kultur zum entscheidenden Indikator individueller Freiheit.
Aber diese Erzählung wird in «the cool and the Cold» nicht fortgesetzt.
Der Kalte Krieg, und das ist für mich die Leistung und These dieser Ausstellung, endete mit dem Blick des Sammlerpaars Ludwig - sie sind ausgestiegen aus diesem Spiel.
Sie bewegten sich neugierig und kompromisslos in diesen Strukturen des Politischen, ließen sich nicht vorschreiben, was sie in Moskau sehen oder kaufen dürfen oder nicht, und reisten lieber ab, wenn die sowjetische Nomenklatura sie einzuschüchtern oder zu bevormunden versuchte. Sie bewirkten tausend kleine Öffnungen - in ihrem Weltbild, aber auch in der praktischen Politik, in der Arbeit an einer anderen Form von Begegnung, Wahrnehmung, Wertschätzung. Sie wollten den weißen Fleck auf der Landkarte der zeitgenössischen Kunst, der Osteuropa war, mit ihren Entdeckungen füllen.
Und auf eine beharrliche Weise entwarfen sie die künstlerische Signatur zweier Imperien, die sich nicht zu DER Abstraktion und DEM Realismus verengte, sondern im Gegenteil - an Vielfalt ergötzte, vorsichtig nach Schulen und Mustern suchte, aber die anderen Wurzeln, Traditionen und Mentalitäten entdeckte und in der eigenen Sammlung entfalten wollte.
Für mich ist der Höhepunkt dieses phantastischen Katalogs das Gespräch zwischen Peter Ludwig und Martin Kunz von 1989.
Wie Peter Ludwig hier über die eigene Sammlungsbestrebung spricht, über die Suchbewegungen seiner Frau Irene, die Kunsthistorikerin war, und die ihren Mann auf seinen oft beruflich bedingten Reisen in den Osten Europas nicht nur begleitete, sondern ihn dort in Museen und Künstlerstudios führte, ihn ins Gespräch mit Intellektuellen und Kreativen brachte und es somit beiden gelang, ein Bewusstsein für die Realität jenseits der offiziellen Reiserouten zu entwickelten. Und diese Kenntnis der offiziellen wie auch der informellen Realität im damaligen Ostblock befähigte sie, die Wirkung ihrer Sammlung in Zeiträumen von Generationen zu denken. Sie wollten den nachfolgenden Generationen ein differenziertes Wissen vermitteln, das die «blinden Flecken» ihrer eigenen Gegenwart zu korrigieren hilft, denn der Ostblock war damals das große Terra Inkognito, aber auch jener «andere Westen» der USA, wie er sich jenseits der Ostküstenkunst zeigte.
«Ich habe versucht,» so Peter Ludwig, «die Kunst aus der Sicht des Kulturraums zu sehen, aus der sie kommt. Mich haben also spezifische russische oder georgische oder aserbeidschanische oder ukrainische Leistungen interessiert und nicht das, was vom Westen her, von unserem Verständnis her sich als Kunst leichter verstehen lässt.» Und so sehe ich nun diese Ausstellung in einer Reihe mit der Ausstellung «Gegenbilder», mit ihrem Fokus auf die unterdrückte Kunst in der DDR, der großen «Moskau-Berlin» Ausstellung hier im Haus, gefolgt von der «1000 Jahre Russland»-Ausstellung und unserem «Palast der Republik» bzw. dem «Palast der Gegenerzählungen» in Wilmersdorf 2019, aber auch im Zusammenhang mit der großen «Ostwärts»-Ausstellung von Brigitte Franzen, die dieser Ausstellung vorausging.
Bis heute nicht, das kann ich bestätigen. Ich war neulich geradezu erschrocken, als ich ein Bild von Mattheuer im Kunsthaus Hamburg entdeckte. Eines. Hingegen es uns ganz selbstverständlich erscheint, und es auch ist, dass die große Sammlung von ostdeutscher Malerei in den Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden reduziert wird und ergänzt um die Positionen westdeutscher und westlicher Malerei. Warum auch nicht. Aber wenn schon Zusammenschau - warum nur in Dresden? Und nicht in München?
Warum nicht? Weil der Nachkrieg nicht vorbei ist. Auch wenn wir das nicht gerne hören.
Wie wunderbar ist im Kontrast dazu die Geste dieser Ausstellung!
Dieser Umgang mit der Sammlung Ludwig durch die «hauseigenen» Kurator*innen der Sammlung Ludwig war keineswegs der Geist des Hauses von Anbeginn.
Das Sammlerpaar Ludwig ließ sich auf das Sammeln von künstlerischen Gegenwartspositionen ein. Und aus dieser Auswahl sollte man über Jahrhunderte auswählen können. Für die Ludwigs war der kuratorische Zugriff Ihrer Ausstellungsmacher genauso eine Gegenwartsposition. Sie ließen deren Interessen gegenüber ihren eigenen Interessen als Sammler gelten, auch wenn diese von ganz anderen Perspektiven und Zielen bestimmt war.
Ludwig hat sich den Kuratoren seiner Sammlung gegenüber verhalten wie der Herausgeber gegenüber den Redakteuren - es gilt das Prinzip der Presse-und Meinungsfreiheit.
Brigitte Franzens Ausstellung dieser Sammlungsschätze kommt, so glaube ich, den Intentionen des Sammlerpaars sehr nahe.
Das wunderbare dieser von Brigitte Franzen kuratierten Ausstellung ist, dass sie keiner Logik des Nachholens folgt - sie auch nicht herbeikonstruiert, ah, schaut, da haben sie in Russland den Pollock nachgemacht, nein, all das findet hier nicht statt. Sie zeigt vielmehr, dass wir es hier mit zwei Ausprägungen ein und derselben Form von Moderne zu tun haben - einer östlichen und einer westlichen, die mehr gemeinsam haben, als sie trennt. Die Philosophin Susan Buck-Morrs beschrieb diese Parallelität der Mobilisierung der Massen, des Technovertrauens oder einer ähnlichen Rolle des Konsums in ihrem Buch «Dreamworld and Catastrophe». Und diese Ausstellung gibt ihr Recht. Es war nicht alles eins - nicht alles das selbe, weder im Osten noch im Westen, sondern es war überall auf seine Weise besonders. Und das haben die Ludwigs gesucht und genossen.
Aber auch das ist nicht die einfache Formel dieser Ausstellung - nein, beide Imperien waren cool and cold. Das Verblüffende an der Ausstellung ist, dass sie eigentlich eine Ausstellung über die Offenheit der Weltsicht dieses Sammlerpaars ist, deren großräumiges Denken erlebbar macht, aber auch deren Liebe für das Besondere, deren Fähigkeit, Muster zu erkennen und das Gegenwärtige für uns zu sichten und ein Stück weit zu ordnen, ohne es zu ideologisieren.
Diese Ausstellung ist eine Geste des Vertrauens in Vielfalt, Weitsicht. Sie weigert sich, Kunstgeschichte zu schematisieren und als Ausstellung ist sie somit eine Geste der Gerechtigkeit - sowohl gegenüber der Vision dieses Sammlerpaars, aber auch gegenüber der Qualität dieser künstlerischen Positionen. Diese bezeugt auf einen forschenden, offenen Blick auf die Geschichte, in der sich die Sammler und Künstler bewegt haben und aus der wir hervorgehen.
Möge jede Sammlungspräsentation nur halb so neugierig und so ausgeglichen aufgebaut sein, wie diese visionäre Ausstellung, viel wäre erreicht im Prozess der Selbstrelativierung des Westens, der Freude und Feier dieses Schatzes an Differenz.
Entschuldigen Sie, dass dieser Beitrag etwas länger geworden ist. Es war mein Letzter als Intendant der Festspiele - und mir eine große Freude, angesichts dieses sehr besonderen und erfreulichen Anlasses. Alles Gute. Vielen Dank.